nicht1984

Es ist nicht 1984!

Lest ihr das auch sooft? An allen Ecken und Enden kommen Leute angeschissen und meinen mit ausbordender Inbrunst darauf hinweisen zu müssen, dass es nun aber wirklich 1984 ist. In oft schlechten Grafiken daneben wird dann die aktuelle Sau (das ist sprichtwörtlich) gephotobeshopped angeprangert und fertig ist das Empörungs-Tool.

Nein, es ist nicht 1984! Dafür gibt es einige Gründe. Haken wir die offensichtlichen mal schnell ab. „1984“ in diesem Zusammenhang keine Jahreszahl (für die, die das echt nicht wissen), sondern ein Verweis auf den Roman „1984“ von George Orwell, in dem eine dystopische Zukunft beschrieben wird, die faschistisch, hierarchisch, menschenverachtend, liebesfeindlich ist und sich im Dauerkriegszustand befindet. Wir leben aber weder in einem faschistischen Land, noch befinden wir uns im Kriegszustand. Über den Rest kann man diskutieren, aber auch da werden wir bei genauerer Betrachtung dann doch grobe Unterschiede feststellen.

Leider wird das gerne außer Acht gelassen mit dem Argument, dass die Methoden, die man in 1984 sieht, zu so einem Staat bzw so einer Zukunft führen würden, weswegen es jetzt so dringend wäre darauf aufmerksam zu machen und es erst gar nicht soweit kommen zu lassen. Womit wir beim „ist“ des „Es ist 1984!“ angekommen sind. Präsens, nicht Futur. „Es wird 1984“ wäre also hier die korrekte Parole. Zieht aber nicht so. Nun ja, Feinheiten.

Es geht natürlich um die Totalüberwachung und die Zensur, die in diesem Roman (oder Film) dargestellt wird. Vielen wird hoffentlich noch die Verwunderung im Gesicht eines großartigen John Hurt in Erinnerung sein, als ihm auffällt, dass er gerade das Bild eines Soldaten neben eine Nachricht geklebt hat, der erst kürzlich als tot vermeldet wurde. Diesen Staat, diese Zensur gelte es also jetzt schon aufzuzeigen und zu entlarven. Leider schwingt bei diesen 1984-Postern auch immer die widerlich rechte Diktion der Lügenpresse mit, wir also angeblich schon von allem, was Anspruch auf „Wahrheit“ erhebt, belogen werden, was aber auch einfach drollig ist, weil ganz besonders die, die darauf hinweisen (müssen), die Wahrheit zu haben, sie offenbar auch nicht hergeben wollen…

Es ist ja nicht zu übersehen, dass die klassischen Medien in einer Krise stecken. Das rührt aber (Rührer….haha…) auch daher, dass sich viele Menschen einfach für dumm verkaufen lassen, indem sie dem Verweis auf Wahrheit mehr trauen als journalistischem Handwerk. Das muss man als Gutgläubigkeit abtun und fordern, man möge doch zuerst mal Quelle, Inhalt und auch Form prüfen, bevor man es als möglicherweise wahr annimmt (Im Regelfall ist es übrigens die Form, die einen da dran kriegt). Letztlich sind Medien heute schnöde Geldmacherei und es ist daher nicht so blöd, Medien eher zu vertrauen, die finanziell unabhängiger sind und sich dazu selbst noch Regeln auferlegen. Doch das nur am Rande.

Nehmen wir das Ding mal auseinander.

Zensur und Überwachung sind nicht Kernthema von „1984“, sondern bestenfalls ganz normaler Alltag. In dem Roman geht es eigentlich um etwas anderes. Drei Dinge. Das eine ist die Umdeutung der Realität durch „Neusprech“, also eine schrittweisen und planvollen Neuinterpretation der Wahrheit mit dem Ziel die Vergangenheit unbegreiflich, also nicht mehr greifbar zu machen, weil sich keiner dauernd merken kann welches Wort eigentlich genau was geheißen hat.

Im heutigen Kontext könnte man hier von Fake-News sprechen, also dem Verstellen der Wahrheit durch vermeintliche Wahrheit und dem gleichzeitigen Einimpfen von neuen Wörtern durch ständige Wiederholung, um bestimmte „Phänomene“ oder vermeintliche „Wahrheiten“ zu beschreiben. Viele Menschen benutzen Worte wie „Lügenpresse“ oder „Gutmensch“ gar nicht in dem Zusammenhang, wie die Leute das tun, die solche Wörter absichtlich und ideologisch besetzt verbreiten. Es fehlt ihnen einfach ein besseres Wort, um „gewisse Leute“ oder einen „gewissen Umstand“ zu beschreiben. Dahinter liegt keine Böswilligkeit. Ähnlich wie viele das Wort „schwul“ benutzen. Nun, die sind denen, die das schon abwertend tun, natürlich auf den Leim gegangen und das sollte man auch ansprechen. Es ist nicht hilfreich, dass man Menschen herabwürdigt, wenn man es selbst nichtmal so meint. Das Gute daran ist, man kann einfach damit aufhören und nichts geht einem verloren. Den Neusprech also einfach nicht aufgreifen, denn anders als in „1984“ haben wir ja die Wahl, das zu tun.

4956476726_26b690b952_bDas zweite Kernthema in „1984“ ist Gedankenverbrechen. Es ist nämlich verboten, sich Notizen zu machen und indem Winston Smith ein Tagebuch führt, begeht er ein Verbrechen. Ist auch logisch. Wer sich Fakten aufschreibt und damit merkt, ist wesentlich schwieriger zu bescheißen. Das Vergessen war schon immer eine der größten Fallen der Menschheitsgeschichte. Das trifft insbesondere über Generationen hinweg auch heute zu. Ein Konzept, das sich übrigens durch alle totalitären Regime zieht. Ein kleiner Verweis auf Oskar Werner in Fahrenheit 451 sei mir hier erlaubt, der übrigens 1984 verstarb. Zufall? … Allerdings 🙂

Gedankenverbrechen zeigen sich in der heutigen Zeit in Form der „political correctness“, die leider schon längst den Boden des guten Umgangs miteinander verlassen hat. Es ist heute im öffentlichen Bereich inakzeptabel Scherze zu machen, einfach allein schon deshalb, weil jemand sich beleidigt oder angegriffen fühlen könnte. Menschen, die das trotzdem tun, müssen sich rechtfertigen, entschuldigen und/oder werden ausgegrenzt. Angesichts der Tatsache, dass das Jungle-Camp aktuell die erfolgreichste, deutsche Serie ist, durchaus überraschend. Es ist nämlich offenbar nicht in Ordnung „zu reden, wie einem der Mund gewachsen ist“, aus Angst jemanden verletzen zu können, es ist aber überhaupt kein Problem abgehalfterten C-Promis bei zutiefst erniedrigenden Tätigkeiten zuzusehen, als wäre das alles völlig normal. Das ist nicht normal! Direkte Folge davon sind völlig spaßbefreite Politiker, die nicht selten als emotionslose Technokraten Karriere machen.

Übrigens gibt es leider auch viele Personen, die „political correctness“ und auch das Abzulehnende an ihrer heutigen Form, ins Verkehrte übertreiben und meinen, man müsse alles zu jedem immer sagen dürfen und sei es noch so verletzend, falsch, erniedrigend oder widerlich. Denen halte ich entgegen, dass es einerseits einfach nicht so ist, weil die Absicht jemanden verbal verletzen zu wollen, sehr wohl niederträchtig und damit abzulehnen ist und andererseits sich natürlich auch wieder Menschen, deren Ziele ganz klar Gewalt und Eskalation sind, hinter so einer gesellschaftlichen Norm verstecken und möglichst immer bis an exakt diese Grenze gehen. Wir wissen, von welchen Leuten ich hier rede.

Zuguterletzt noch der dritte Kernpunkt von „1984“, der sich eher als Frage am Ende aufdrängt. Darin ist WinstonSmith im Café Kastanie zu sehen. Als seine ehemalige Liebschaft das Lokal betritt, scheint ihn das nicht im geringsten zu berühren. Ob das gespielt oder ehrlich der Fall ist, darüber muss man spekulieren, jedenfalls spricht diese Szene das Verhältnis von Wahrheit zu Liebe an. Kann es Liebe ohne Wahrheit geben? Muss man die Liebe mit der Wahrheit töten, weil das eine immer das andere bedingt? Es scheint zumindest so. Denn im Innersten sind die meisten Menschen aufrichtig. Das glaube ich auch.

Also wenn wiedermal jemand meint, es sei 1984, habt ihr jetzt genügend in der Hand, um eine interessante Diskussion zu starten und gleichzeitig auch die Verhältnisse zu klären, denn nichts ist schädlicher als permanent auf Extreme zu verweisen. Und anstrengend. Es ist so anstrengend…..

(desertrold)

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CC3.0, Sstrobeck23
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