Was Demokratisierung auch heißt
Oft werden wir gefragt, also die Piraten, wofür wir denn eigentlich stehen. Netzfreiheit, Privatsphäre, Entkriminalisierung von Drogen. Ah, Haschtrafiken also. Nein, keine Haschtrafiken und auch kein Marihuana-Spritzentausch. Aber Sachen fladern ohne dafür zu bezahlen?! Ja, schon – unter Umständen. So verebbt dann das Gespräch gern in Grabenkämpfen warum man Leute bestrafen muss, die straffällig geworden sind und warum doch nicht, wenn das nur Symptomatik einer zugrunde liegenden Krankheit ist und so weiter. Was selten zur Sprache kommt ist, dass es noch weit tiefgreifendere Aspekte der Piratenbewegung gibt. Das unbedingte Bekenntnis zur Demokratie, zu Vernunft, zu Laizismus (Trennung von Kirche und Staat). Dazu eine gewisse Technikaffinität und so insgesamt keine Angst vor der Zukunft. Keine Panik! Quasi.
Der Aspekt der Demokratisierung ist in seiner Tragweite allerdings ein ganz besonderer, der sich inhaltlich gern im Verständnis der Staatsform erschöpft. So ist das nicht gemeint, eben nicht.
Fassen wir mal kurz zusammen: Österreich ist eine semipräsidentielle, repräsentative Demokratie organisiert in Form einer föderalen Bundesrepublik. Aha. Alles klar. Man kann also sagen, es gibt noch von so allem ein bissl was – von der Monarchie, vom Ständestaat, von der Demokratie. Kann man ja mal nachlesen. Was es auch gibt, sind eine freie Marktwirtschaft und eine auf christlichen Idealen aufgebaute Gesellschafts – na sagen wir – normierung. Also grundsätzlich mal die Familie als rechtliche Einheit, die Parzelle in der Gemeinde samt Wirt und Dorfkirche. Soweit so unlustig.
Wenn es dann an den Faktor Arbeit geht, sieht die Welt auf einmal ganz anders aus. „Wer zahlt, schafft an!“ ist hier das vorherrschende Prinzip. Natürlich im Kontext der Sozialpartnerschaft und damit ausgeführt als Raubtierkapitalismus light. Also der Chef darf einen nicht schlagen und eigentlich auch keine Klopausen verbieten. Ansonsten ist man in seiner Arbeitszeit und auch mal darüber hinaus (gell, Wirtschaftskammer) ausgeliefert. Das hat wenig von Demokratie oder Mitbestimmung. Das ist ein klar hierarchisches System, an dessen Kopf ein Chef oder ein Vorstand – also was potenziell psychopathisches – steht. Jedenfalls eher vergleichbar mit einer militärischen Organisationsstruktur als mit einer demokratischen. Aus eigener Erfahrung kann ich auch sagen, es fühlt sich nicht zu selten an, wie eine kleine Minidiktatur, die nur dazu dient, die menschlichen und ökonomischen Schwächen des Oberhaupts zu verschleiern, so als würden die Meuterer schon messerwetzend unter Deck auf den ersten Moment der Schwäche lauern.
Man mag argumentieren, dass in einer sich stets beschleunigenden Welt, es klar strukturierte Unternehmen braucht, die schnell und unter möglichst wenig Reibungsverlusten auf tagesaktuelle Änderungen reagieren können. Wußten ja schon die alten Römer. Dem halte ich entgegen, dass das erstens gar nicht bewiesen ist, dass hierarchische Systeme schneller und flexibler sind als andere Organisationsformen, dass die Römer kein Internet oder Email hatten und dass in so einer hierarchischen Welt -die gesamte Welt- immer nur so gescheit ist, wie der Kopf, der sie lenkt und das ist in jedem Fall entweder genau einer oder der eines hörigen Gremiums. Die Firmenlandschaft mutet aus der Vogelperspektive nicht selten wie umherschweifende Kohorten ohne Navi, aber mit jeder Menge Sturheit an. Sehr unzeitgemäß.
Große Konzerne haben das erkannt und unterteilen schon längst in Subfirmen, Niederlassungen, Abteilungen. Flache Strukturen, kleine Kreativteams, Teeküchen mit Wohlfühldekor und freier Pausengestaltung. Vielleicht sogar eine Playstation im Gemeinschaftsraum, daneben die 1000€ Kaffemaschine mit Kapsel-Abo….
All das passiert natürlich immer auch (und nur) unter der Prämisse, dass man ein fehlerhaftes Stück auch gut und gern mal aus diesem Organismus entfernen, also rausschneiden kann, da das Know-How (vulgo Teambuilding) sich ohnehin im oberen Bereich konzentriert (was natürlich ein Trugschluss ist). Irgendwie riecht das alles für mich nach künstlicher verjüngter, biederer Prostata, Geltungsdrang, Narzissmus.
Tatsächlich moderne und nicht nur schicke Unternehmen, oft bestehend aus kleinen Start-Ups wie man sie heute ja an allen Enden und Ecken fordert, sind nicht selten gebaut wie Flüssigkeiten, aufgeteilt in viele, kleine, gleichberechtigte Teile, die in ihrer Gesamtheit mal mithelfen, mal frei lassen, auch Raum für Verwirrtheit, Unwissen und Langeweile lassen, ohne dem über allem thronenden Chef – und das insgesamt durchaus recht erfolgreich. Die Technik, aber auch das nicht mehr unbedingt erwünschte Festhalten an Althergebrachten, ermöglichen diese Modelle, die Informationen in alle Richtungen, nicht nur nach unten und manchmal vielleicht nach oben durchlassen und so zu insgesamt viel informierteren und auf breiterer Basis akzeptierten Entscheidungen führen.
Das alles setzt natürlich voraus, dass Mitarbeit belohnt, Bezahlung transparent und die Richtungsfestlegung grundsätzlich offen sein muss. Was also einer Abschaffung des klassischen Berufsbilds „Chef“ gleichkommt. Und darin liegt auch der Haken, warum sich soetwas nur sehr langsam durchsetzt. Obwohl es erfolgreicher und flexibler agieren kann, obwohl es für die Beteiligten mehr Wohlstand und Sicherheit erzeugt, wird es mehrheitlich in der Bevölkerung und von Vorgesetzten sowieso abgelehnt. Man traut es „uns“ nicht zu, dass wir das können und nicht zuletzt hat man natürlich Bammel davor, dass der selbst schon so gut eingesessene Posten obsolet werden könnte.
Da nimmt man auch gern in Kauf, dass Demokratie bei uns nur in Teilen des politischen Apparats stattfindet. Innen drinnen ist Österreich halt doch immer noch auch ein Ständestaat, indem Titel und Wohnadresse etwas zählen, Innovation, Mut und progressives Denken aber nur im Bewerbungsschreiben.
(desertrold)
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