Die illiberale Demokratie
Es war am 26. Juli 2014 im rumänischen Städtchen Băile Tușnad (ung. Tusnádfürdő) als Viktor Orbán jene Schlüsselrede hielt, die seither seine Politik bestimmt und in der er die liberale Demokratie aufkündigte. Weder Ort, noch Zeit, waren ein Zufall, denn gerade in den Menschen in den Gebieten die Ungarn durch den Vertrag von Trianon 1920 verloren hatte – dem ungarischen Trauma schlechthin – hatte er bei der vorausgegangenen Parlamentswahl seine treuesten Wähler.
Orbán durfte also mit einem national gesinnten und ihm gewogenen Publikum rechnen. Somit bot es sich an, gerade dann und dort, den Takt für seine politische Agenda vorzugeben. So nutzte er die Gunst der Stunde und sprach offen aus, was sein Plan ist:
In der Welt herrscht ein Wettrennen darum, wer (…) jenen Staat erfindet, der am ehesten dazu in der Lage ist, eine Nation international erfolgreich zu machen. (…) Das „Schlager-Thema“ im allgemeinen Denken ist es, jene Systeme zu verstehen, die nicht westlich, die nicht liberal, die keine liberalen Demokratien, die vielleicht sogar nicht einmal Demokratien sind, die aber dennoch Nationen erfolgreich machen. Die „Stars“ in den internationalen Analysen sind nämlich Singapur, China, Indien, Russland, die Türkei. (…) Das, was wir in den letzten vier Jahren gemacht haben und was wir in den nächsten vier Jahren machen werden, ist tatsächlich auch von daher zu interpretieren. Indem wir uns von den in Westeuropa akzeptierten Dogmen und Ideologien lossagen und uns von ihnen unabhängig machen, suchen wir (….) jene Form der Gemeinschaftsorganisation, jenen neuen ungarischen Staat, die dazu in der Lage sind, unsere Gemeinschaften mit einer jahrzehntelangen Perspektive im großen Wettrennen der Welt wettbewerbsfähig zu machen.Bisher kannten wir drei Formen der Staatsorganisation: den Nationalstaat, den liberalen Staat und den Wohlfahrtsstaat. Die Frage lautet nun: was kommt als nächstes? Die ungarische Antwort darauf lautet: es dürfte das Zeitalter des arbeitsbasierten Staates folgen. Wir wollen eine arbeitsbasierte Gesellschaft organisieren, die – wie ich schon früher erwähnte – das Odium auf sich nimmt, dass sie offen ausspricht, dass sie hinsichtlich ihres Charakters keine liberale Demokratie ist.(…)Mit den liberalen Prinzipien und Methoden der Organisierung einer Gesellschaft und überhaupt mit dem liberalen Verständnis von Gesellschaft müssen wir brechen.
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Und jetzt schauen wir noch einmal zurück auf das, was Sebastian Kurz am Wochenende bei der Sicherheitskonferenz in München gesagt hat:
Der Premierminister hat natürlich recht, wenn er sagt, in der Vergangenheit war der Westen immer attraktiv wegen der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Redefreiheit, und das ist, denke ich, noch immer so. Aber die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Redefreiheit gingen immer Hand in Hand in der Vergangenheit mit wirtschaftlichem Erfolg, wirtschaftlichem Wachstum, Wohlstand. Und jetzt leben wir in einer Zeit, in der andere Systeme auch wirtschaftlich erfolgreich sein können und ich denke, dass das etwas ist, das die gesamte Prämisse verändert. Wenn wir uns China anschauen, China kann innerhalb von zehn Tagen ein Krankenhaus bauen. In Europa hätten wir eine Debatte, die schon mal zehn Tage dauert. Dann hätten wir das erste Treffen für die ersten Gespräche. Dann würde man Jahre brauchen, um sich zu entscheiden. Dann würde es nochmal Jahre brauchen bis man das Krankenhaus baut und vielleicht wäre am Ende die Qualität des gebauten Krankenhauses besser, aber es geht ja nicht immer nur um die Qualität. Also, ich glaube, was sich verändert hat, ist, dass wir jetzt wissen, dass andere Systeme auch wirtschaftlich erfolgreich sein können und das bedeutet, dass auf uns sehr viel Druck liegt, weiterhin erfolgreich zu sein. Denn ich glaube es wird nicht viele Menschen in der Welt geben, die gerne unsere Systeme kopieren, wenn sie gleichzeitig sehen, dass wir nicht wirtschaftlich erfolgreich sind und, dass wir nicht unseren Wohlstand und unser Wachstum beibehalten können und unsere Lebensqualität, innerhalb unserer Systeme.
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Was will uns Kurz damit sagen? Dass autoritäre Staaten unseren liberalen Demokratien darin überlegen sind, schnelle und radikale Entscheidungen zu treffen und sie auch umzusetzen?
Jedenfalls spricht Kurz hier nur vom wirtschaftlichen Erfolg. Was er komplett ausblendet und mit keinem Wort erwähnt, ist, dass die Menschen in der EU weitestgehend vor staatlicher Willkür, Umerziehungslagern und einem Überwachungsstaat vom Zuschnitt und der Intensität Chinas geschützt sind, auch wenn die Kanzlerpartei viel dafür getan hat und tut, mit einem Überwachungspaket, dem BBU-Gesetz oder jetzt mit dem Versuch eine Präventivhaft durchzusetzen u.v.m., den Rechtsstaat auszuhebeln und zugleich den Sozialstaat einzudampfen.
Die Qualität eines Systems ist nicht nur am Wirtschaftswachstum zu messen, sondern vor allem auch daran, wie sicher die individuelle Freiheit, das Recht und die Menschlichkeit geschützt werden.
Zugegeben, so weit wie Orbán, der die liberale Demokratie offen ablehnt, ist Kurz noch nicht, aber er geht dicht am Klippenrand spazieren. Die Checks and Balances des österreichischen Staates stellen eine mächtige Hürde dar, und wer weiß, wie es wäre, wenn der VfGH nicht so selbstbewusst aufträte, der Bundespräsident ein anderer wäre oder es nicht doch ein paar Medien gäbe, die bisweilen genauer hinschauen.
Die ÖVP hat zwar den stärksten Klub im Nationalrat und stellt den Bundeskanzler. Staatstragend ist sie dennoch nicht, wenn es darauf ankommt – wir Pirat*innen hingegen schon. Wir stehen zu dieser liberalen Demokratie ohne Wenn und Aber.
(VinPei)
Bildquelle: CC BY 2.0 https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Kaiketsu
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