Vergewaltigung vs. Nicht einvernehmlicher Sex
Trigger Warnung: Explizite Darstellung körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt.
Die Türkei ist kürzlich aus der Istanbul Konvention („Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ [1]) ausgetreten. Sie verteidigt ihre Entscheidung damit, dass „die Lösung für den Schutz von Frauenrechten in ihren eigenen Bräuchen und Traditionen läge. Die Initiative zum Austritt ging von einer konservativ-religiöse Plattform aus, die unter anderem Religion, Ehre und Anstand durch das Abkommen gefährdet sah.“ [2]. Dass der Papst gegen Homosexuelle hetzt und die Türkei Ehre und Anstand durch die Implementierung von Menschenrechten verletzt sieht, ist besorgniserregend.
Artikel 36
In der Istanbul Konvention geht es grundsätzlich um jede Form von psychischer oder physischer Gewalt, im Speziellen aber auch sexuelle Gewalt. Die Konvention hält fest, „dass Frauen und Mädchen einer größeren Gefahr von geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind als Männer“, anerkannt aber „dass auch Männer Opfer häuslicher Gewalt sein können“ (bevor sich noch jemand angegriffen fühlt). Sie darf somit als Manifest gegen Gewalt im Allgemeinen verstanden werden. Österreich hat die Konvention am 14. November 2013 ratifiziert.
Die Frage die hier erörtert werden soll, ist der Unterschied zwischen einer Vergewaltigung und nicht einvernehmlichem Sex. Fragt man Menschenrechtsaktivist: innen ist die Antwort einfach: Es gibt keinen. Leider ist die Realität etwas komplexer. In der Konvention wird im Artikel 36 festgehalten, dass „folgendes vorsätzliches Verhalten unter Strafe gestellt wird: a. nicht einverständliches […] Eindringen, b. sonstige nicht einverständliche […] Handlungen, c. Veranlassung […] zur Durchführung nicht einverständlicher sexuell bestimmter Handlungen mit einer dritten Person.“. Weiters wird auch festgehalten „2. Das Einverständnis muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person, der im Zusammenhang der jeweiligen Begleitumstände beurteilt wird, erteilt werden.“. Damit ist klar, dass nicht einvernehmlicher Verkehr zu bestrafen ist, aber auch das Dokument definiert das Wort Vergewaltigung nicht näher. Die Überschrift „Artikel 36 – Sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung“ legt sogar nahe, dass es noch andere Formen sexueller Gewalt gibt, die keine Vergewaltigung darstellen.
StGB §201
Die gesetzliche Lage in Österreich sieht Vergewaltigung als ein spezielle Form des Gewaltverbrechens. Sie schließt damit nicht jede Form von nicht einvernehmlicher sexueller Handlung mit ein. Der Gesetzestext lautet wie folgt:
StGB §201. Abs (1): Wer eine Person mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89) zur Vornahme oder Duldung des Beischlafes oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung nötigt, ist mit Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren zu bestrafen. [4]
Zunächst einige Begriffsdefinitionen:
- Eine Drohung ist die glaubhafte Ankündigung einer unangenehmen Maßnahme gegen jemanden, um ihn in seiner zukünftigen Handlungsweise zu beeinflussen. [5]
- Eine Nötigung ist die Aufforderung eines anderen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung durch Gewalt oder durch gefährliche Drohung. [8]
- Eine „gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ muss konkret und objektiv sein, [6][7]: „Mag zwar die Drohung in individueller Hinsicht wegen des Zustandes des Opfers in Richtung einer Raubdrohung weisen, so ist in objektiver Hinsicht in den Worten „Wenn du mir kein Geld gibst, schlage ich alles (nicht auch das Opfer selbst) zusammen“ keine Ankündigung eines unmittelbar zu gewärtigenden Angriffs auf Leib und Leben gelegen.“
Hierbei zeigt sich schon, dass der Gesetzgeber eine objektivierbare Gefahr voraussetzt. Als Bedrohung wird nur anerkannt, was faktisch eine Bedrohung darstellt, aber nicht was für das Opfer als Bedrohung erlebt wurde. Die Freiwilligkeit und die Begleitumstände finden dabei ebenso keine Erwähnung. Insbesondere ein einfaches „Nein“ einer Frau reicht dem Gesetzgeber nicht.
De jure
Sucht man im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) nach dem Stichwort „Vergewaltigung“ zeichnen etwas mehr als 200 OGH Urteile zwischen heute und Anfang 2017 ein recht eindeutiges Bild (mehr als 200 Urteilsbegründung konnte ich beim besten Willen nicht lesen). In praktisch allen Fällen hat der Mann das Opfer fixiert und seine körperliche Überlegenheit eingesetzt, es meistens auch geschlagen und gewürgt. In einigen Fällen haben Männer mit Messern, vereinzelt auch Schusswaffen zur Drohung benutzt. Mit Ausnahme von 3 Fällen (15Os99/18z vom 26.09.2018, 14Os23/17i vom 23.05.2017, 15Os75/17v vom 19.07.2017) handelte es sich bei allen Opfern um Frauen. Außer Acht lasse ich in der weiteren Betrachtung minderjährige, körperlich oder geistig eingeschränkte sowie unter Substanzeneinfluss stehende oder im Tiefschlaf befindliche Personen, da hier ungeachtet anderer Begleitumstände Beischlaf immer als Vergewaltigung anerkannt wurde.
Ein wesentlich Kriterium bei der Beurteilung, scheint zu sein ob ein schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) in Form einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung zur Folge hatte vorliegt. Dies ist meistens in Form von Hämatomen und Verletzungen im Intimbereich der Fall. Hier anerkennt der Gesetzgeber aber auch, dass dies auch in psychischer Form z.B. einer posttraumatischen Belastungsstörung der Fall sein kann (15Os139/18g vom 21.11.2018). In allen Fällen ging der Freiheitsentzug z.B. durch versperren von Türen auch mit körperlicher Fixierung und damit physischer Gewalt einher. Gleiches gilt für Drohungen, diese wurden mit einer Ausnahme auch jedenfalls zusätzlich zur eingesetzten Körperkraft ausgesprochen.
Besagtes Urteil (15Os75/17v vom 19.07.2017) handelt von einer versuchten Vergewaltig durch „Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB), indem er sich mit entblößtem Unterkörper auf dessen Bett setzte und äußerte „Wenn du mir keinen bläst, dann bring‘ ich dich um!“, zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich des Oralverkehrs, zu nötigen versucht.“. In einem anderen Urteil wurde eine sexuelle Handlung die ohne Gewalt, aber mit einer Drohung verlief als Vergewaltigung anerkannt, die Drohung war aber „Zieh dich aus, oder willst du, dass es wieder so wie gestern ist“, wobei das Opfer bereits am Vortag unter dem Einsatz von Gewalt vergewaltigt wurde (11Os124/18x vom 13.11.2018).
Spannend sind die Erkenntnisse aus dem Urteil 11Os3/17a vom 14.02.2017. Dabei hat der Täter das Opfer fest umklammert und unsittlich berührt. Die Nichtigkeitsbeschwerde, es handle sich nicht um eine gefährlichen Drohung, „weil sich keine Feststellungen finden würden, wonach der Angeklagte ein Übel gegen Leben, die Gesundheit oder die körperliche Unversehrtheit angedroht hätte“ wurde abgewiesen mit der Begründung, „dass unter Gewalt jeder Einsatz einer nicht ganz unerheblichen physischen Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder vermuteten Widerstands anzusehen ist, ohne dass es einer besonderen Intensität dieser Kraftanwendung bedarf“ und dass die „Nötigungsmittels der gegen das Opfer gerichteten Gewalt im für die Subsumtion (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) entscheidenden Umfang den als erwiesen angenommenen Tatsachen der Entscheidungsgründe (US 4 f) entspricht“.
Im Kontrast dazu steht das Urteil 13Os3/20w vom 26.02.2020. Hier hat er den Geschlechtsverkehr gegen ihren ausdrücklichen Wunsch und ihre Aussage, dass es ihr Schmerzen bereitet, fortgesetzt. Der Täter wurde der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a für schuldig befunden. Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft die hierbei eine Vergewaltigung sah wurde nicht stattgegeben, weil das Schöffengericht keine Nötigung bzw. darauf bezogenen Vorsatz sah.
Der Sprachgebrauch bleibt schwierig
Es braucht objektive Kriterien um ein Strafmaß festsetzen zu können, aber das Gesetzt nimmt Opfern sexueller Gewalt die Legitimität, wenn diese Gewalt im Auge des Gesetztes nicht „brutal genug“ war. Ihre Erlebnisse als Vergewaltigung und die Täter als Vergewaltiger zu bezeichnen, bringt sie dann noch in die missliche Lage möglicherweise mit § 111 StGB „Üble Nachrede“ in Konflikt zu geraten. Dass der Gesetzgeber einen Teil von nicht konsensualem Sex vom Tatbestand der Vergewaltigung ausnimmt, impliziert weiters dass es nicht konsensualen Sex gibt, der keine Vergewaltung ist und somit möglicherweis nicht illegal ist. Das widerspricht der Istanbul Konvention und spielt Männern, die sich in einem geistigen und moralischen Vakuum befinden in die Hände.
218 StGB „Sexuelle Belästigung“ („Grabscher Paragraf“) schließt hier wichtige eine Lücke, kann aber das gesamte Problem auch nicht lösen. In diesem Paragrafen geht es um sexuelle Belästigung und nicht sexuelle Gewalt. Bezüglich der sexuellen Gewalt führt er sprachlich zu einer weiteren Bagatellisierung. Der Gesetzgeber spricht von einer Belästigung und einem Ärgernis, was im Juristendeutsch vielleicht Sinn hat, aber im allgemeinen Sprachgebraucht den Tenor „ist halt bisschen lästig und du ärgerst dich ein bisschen, aber stell dich nicht so an“ füttert.
Man sollte das Kind beim Namen nennen. Bei der Körperverletzung schafft es der Gesetzgeber auch, zwischen einer normalen und einer schweren zu unterscheiden. Jede Form von nicht einvernehmlichem Sex auch gesetzlich unter dem Begriff Vergewaltigung zu subsumieren, scheitert also wie so vieles vor allem am politischen Willen.
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[1] https://www.coe.int/en/web/conventions/full-list/-/conventions/rms/09000016806b076a
[2] https://orf.at/stories/3206079/
[4] https://www.ris.bka.gv.at/eli/bgbl/1974/60/P201/NOR40217855
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Drohung
[8] https://de.wikipedia.org/wiki/N%C3%B6tigung_(%C3%96sterreich)
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Vergewaltigung
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