Es war der 21. Februar, ich war in Frankfurt am Flughafen gerade auf dem Weg nach Wien, stand beim Gate und die Sonne schien mir ins Gesicht. Als das Boarding beginnt, macht die Mitarbeiterin der Fluggesellschaft eine Durchsage: Alle Personen die sich in den letzten 14 Tagen in China aufgehalten haben, eine Zwischenlandung in China hatten oder Chinesische Staatsbürger sind, sollen sich bitte beim Schalter melden. Alle am Gate haben gelacht. Heute ist der 5.4., es ist ebenfalls ein wunderschöner Tag, die Sonne scheint mir wieder ins Gesicht, aber zu lachen ist mir schon lange nicht mehr zu mute.

COVID-19 hält die Welt in Atmen, wir sind alle mittlerweile Experten im lesen von Diagrammen mit exponentiell verlaufenden Kurven und was auch immer vorher „Normalität“ war hat sich für viele stark verändert. Wir sind erst am Anfang dieser Krise, aber was mich beunruhigt ist nicht das Virus. Es geht mir keinesfalls darum Corona zu verharmlosen, ich glaube auch nicht an Verschwörungstheorien in diesem Zusammenhang oder will welche verbreiten, aber letztendlich gibt es wie überall, wie auch in dieser Krise Profiteure und ich finde es äußerst wichtig sich diese sehr genau anzuschauen.

 

Die Heilige Kuh der (Markt-)Wirtschaft und ihre Priester

In jeder Krise ist schnelles Handeln gefragt – Spoiler: Die Maßnahmen müssen natürlich verhältnismäßig sein, aber später mehr zu diesem Thema. Hat man eine starke Ideologie und Linientreue ist es leichter Entscheidungen zu treffen, aber vermutlich ist man dann zu weit weg von der politische Mitte um ausreichend Einfluss zu haben. Die Mitte wiederum ist meistens gut vernetzt oder verstrickt je nachdem wie man es sehen will und muss die Partikularinteressen ihrer Förderer bedienen. Frühes Handeln wäre eine Option, die Führungsqualitäten erfordert, sprich jemand hätte „den Kopf hinhalten müssen“ wäre es dann doch anders gekommen als man gedacht hat.

Jetzt hat die politische Mitte – wenn sie denn nicht selber entscheiden will – natürlich das Problem, dass ein Thema hinreichend breit diskutiert werden muss damit die Maßnahmen die nötige Akzeptanz erhalten oder hinreichend Ernst sein muss damit die Dringlichkeit von außen kommt. So geschehen ist das ganze in Tirol [1], wo die wirtschaftlichen Interessen wichtiger Förderer über den Interessen der Allgemeinheit standen. Dass Partikularinteressen (in diesem Fall die wirtschaftliche Rentabilität) einen höheren Stellenwert in der ÖVP haben als die Interessen der Allgemeinheit (in diesem Fall Seuchenschutz) mag in einem demokratischen System – zumindest in einem bestimmten Bereich – durchaus ein Ansatz sein, aber man sollte dann zumindest dazu stehen. Dass das kein ‚Hoppala‘ sondern Kalkül ist, zeigt sich auch an dem unmittelbar nach „Kitzloch“ beschlossenem Hilfspaket, dass mit 100 Millionen Euro die Liquidität der Tourismusbranche sichern soll und gleichzeitig die Haftungen für die Betriebe auf den Staat umwälzt [2].

Schnelles handeln ist wichtig, daher möchte ich die ÖVP auch nicht dafür kritisieren dass sie handelt, aber sehr wohl Bewusstsein dafür schaffen, wie sie handelt. Es gibt nämlich immer alternativen – statt 100 Millionen den Unternehmern im Tourismusbereich zur Verfügung zustellen (wozu überhaupt?) hätte man auch direkt alle Mitarbeiter auf Staatskosten in den bezahlten Heimurlaub schicken können. Diese Wege, sei es Soziales, Wirtschaft oder Umweltschutz zu diskutieren ist elementar für eine Demokratie.

 

Das falsche Spiel der europäischen Länder

Gemeinsames Vorgehen ist wichtig und wäre auch auf europäischer Ebene wichtig gewesen. Die EU hat im Bereich der Pandemiebekämpfung aber kaum Kompetenzen[3], sie zu kritisieren ist daher wenig sinnvoll, weil sie vom Schulterschluss der Länder abhängig ist. Dennoch zeigt sich auch hier, dass die Wirtschaftlichen die Gesellschaftlichen Interessen überwiegen. Am 22. März habe ich das Handeln der EU Mitgliedsstaaten mit jenem Vorgehen während der Finanzkrise 2008 verglichen: „Die EU Staaten haben nach der Lehman Pleite exakt 27 Tage gebraucht um ein Banken-Hilfspaket gemeinsam zu verabschieden“[4]. Nach wie vor gibt es kein gemeinsames Vorgehen bez. Corona.

Obwohl ich sonst immer sehr schnell damit bin systemische Ursachen zu sehen, nahm ich in diesem Fall tatsächlich an, dass der fehlende Schulterschluss an der Überforderung der Länder, der nach innen fokussierten Ausrichtung und damit eine Art kollektives versagen ist. Letztendlich hat Merkel auch Mithilfe von Sarkozy die Maßnahmen 2008 organisiert. Tatsächlich war es aber nicht so, dass der Versuch nicht unternommen worden wäre, sondern ein gemeinsames Vorgehen wurde aktiv unterbunden:

„EU-Kommission [hat] den Mitgliedsstaaten bereits Ende Jänner, einen Monat bevor die Virusinfektionen EU-weit eskalierten, Hilfe bei der gemeinsamen Beschaffung von Schutzmasken, Testkits und Beatmungsgeräten angeboten […] Dies sei von Regierungsvertretern der Gesundheitsministerien […] bei einschlägigen Sitzungen in Brüssel aber explizit abgelehnt worden […] die Mitgliedsstaaten sind auf hohem Niveau vorbereitet, die meisten haben Maßnahmen gesetzt“ [5]

Während Anschober also am 5. Februar (10 Tag vor dem ersten Corona Toten in der EU) Hilfe bei der gemeinsamen Beschaffung ablehnt, kritisiert Kurz am 29.03 Medienwirksam die EU-Institutionen in Brüssel, die versagt haben sollen [6]. Er erklärt, „dass wir zwei Wochen lang komplett auf uns alleingestellt darum kämpfen müssen, dass ein Lkw mit bereits von uns bezahlten und dringend benötigten Schutzmasken an der deutschen Grenze hängt, weiterfahren darf und gleichzeitig unsere Kontrollen zu Italien kritisiert werden“. Während die EU Staaten sich wechselseitig blockieren, steigen die Preise für die für das Medizinische Personal wichtigen FFP2 Schutzmasken von 0,45€ (Mitte Februar) auf 13,52€ (27.02) [7]. Die Pharmaindustrie verdient gut daran, dass wir uns uneinig sind. Ob hier nur Arroganz und Überheblichkeit seitens der Gesundheitsminister oder Vorsatz dahinter steckt, sei dahingestellt.

Nicht nur der Markt – der sonst alles regelt – nützt hier massiv die Not der Staaten aus, sondern auch andere Länder schlagen politisches Kapital aus der Situation. China, Kuba und Russland schicken Geräte und Personal nach Europa, das danken angenommen wird [8]. Vor allem Italien wurde förmlich sich selbst und seinem Schicksal überlassen, aber trotzdem dass hier dringend Hilfe benötigt wird, gibt es auch viel Kritik – sowohl an der Präsenz russischer Truppen [9] als auch am Deutschen Nein zur gemeinsamen Krisenbewältigung im Bereich der Finanzen („Corona-Bonds“) [10]. Dass es hier darum geht neue Allianzen zu schmieden ist klar, es ging letztendlich bei der Entwicklungshilfe der EU auch nie wirklich um Nächstenliebe.

 

(A-)Sozialpolitik

Aber auch hierzulande wird ein interessantes Spiel mit dem Volk gespielt. Massiv zu kritisieren ist vor allem die Informationspolitik, die nach Ausbruch der Pandemie zu einer Art Massenhysterie geführt hat. Das ganze Land wurde non-stop mit Informationssendungen über die Bedrohung „informiert“. Währenddessen war die Regierung fleißig und hat ihr Corona Gesetz auf den Weg gebracht. Dieses wurde einstimmig beschlossen [11].

Wir sind in der Krise – vielen haben ihre Jobs verloren, mussten ihre Betriebe schließen, sind auf Kurzarbeit oder haben andere finanzielle Schwierigkeiten. Von allen Parteien wird der Ernst der Lage wahrgenommen und weiter Maßnahmen gefordert.

„Der Wirtschaft muss jetzt schnell geholfen werden. Es muss jeder Hilfe bekommen, der Hilfe braucht“ (Neos) [12]

„Menschen und ihre Familien dürfen wir nicht im Stich lassen! Deswegen müssen wir dringend das Arbeitslosengeld von 55% auf 70% des letzten Nettoeinkommens erhöhen“ (SPÖ) [13]

„Der Appell der Bundesregierung bleibt: Kurzarbeit vor Kündigung, dafür wurden jetzt auch die Mittel auf 1 Milliarde aufgestockt“ (ÖVP) [14]

„Der aktuelle Rettungsschirm ist nicht fair und viel zu viele Menschen erhalten zu wenig oder gar nichts“ (FPÖ) [15]

„Damit es auch in Städten genügend Platz gibt, wollen wir die unbürokratische Öffnung von Straßen für Fußgängerinnen und Fußgänger emöglichen.“ (Grüne) [16]

In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die Frage – wäre es nicht schön, wenn die Existenz von jedem einfach gesichert wäre? Stellen wir uns für einen Moment die Utopie vor. Was würden wir uns wünschen?

Personen und Unternehmen sollen durch den Staat entschädigt werden, wenn:

  • sie sich in Quarantäne befinden
  • ihnen die Ausübung der Erwerbstätigkeit behördlich untersagt wurde
  • das Unternehmen seinem Betrieb beschränkt oder gesperrt worden ist
  • sie in einer Ortschaft wohnen oder berufstätig sind, wo der Straßenverkehr gesperrt wurde

Die Vergütung soll für jeden Tag geleistet werden, solange die Maßnahmen verhängt sind:

  • für Personen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, nach dem regelmäßigen Entgelt (der Bund ersetze dem Arbeitgeber die Gehälter + Lohnnebenkosten)
  • selbständig und Unternehmungen sollen so viel Geld vom Staat bekommen, wie sie durchschnittlich verdient hätten

Falls ihr euch fragt aus welchem kommunistischen Werk ich diese Ideen habe, die Antwort ist sehr einfach: Epidemiegesetz § 32 [17]. Eben jenes Gesetz, dass die Parlamentspartein am 15. März einstimmig abgeschafft haben [11]. Durch das Corona Gesetz wurde COVID-19 von einer „Pandemie“ zu „Höherer Gewalt“ umdeklariert, womit das Epidemiegesetz nicht mehr zuständig ist. Umso mehr erstaunt es, dass die (Regierungs-)Parteien jede neue Maßnahme und jeden weiteren „Härtefond“ als Erfolg feiern. Letzendlich haben sie die Lage aller massiv verschlechtert und arbeiten das jetzt langsam und ‚marktkonform‘ auf.

Die FPÖ schießt den Vogel überhaupt ab, indem sie zwar grundsätzlich auf die Diskrepanz zwischen Corona- und Epidemiegesetz hinweist [18], aber nur im Zusammenhang mit den Entschädigungen für Unternehmer.

 

Schnell wieder zurück Normalität, zurück zur Konsumgesellschaft

Es werden Bemühungen unternommen schnell wieder zurück zur Normalität zu kommen. In erster Linie heißt, dass das die Leute wieder konsumieren und ihrer Arbeit nachgehen sollen. Hinter dem Coronagesetzen steckt aber auch noch ein anderes Kalkül – die Lohnarbeit als Notwendigkeit zu erhalten. All jene, die systemrelevant sind müssten nach wie vor schuften, und es gäbe weiterhin Verlierer der Krise und Leute die wir nicht zurücklassen dürfen, aber jene die durch die Einschränkungen keine Arbeit oder Umsätze mehr haben, wären abgesichert, hätten keine (zusätzlichen) finanziellen Sorgen und könnten die Auszeit nützen um zu reflektieren was wir eigentlich wirklich brauchen. Erkennen, dass wir mit Nahrung und Wohnen eigentlich ein gutes Leben haben und den Konsum hinterfragen. Nach dem Epidemiegesetz hätte es auch kaum Kündigungen oder Kurzarbeit gegeben – die Notwendigkeit Mitarbeiter zu kündigen ist erst durch das Coronagesetz entstanden, folglich genauso der Verdienstentgang durch die Kurzarbeit.

Falls ihr zu jenen privilegierten Mitgliedern unserer Gesellschaft zählt, die gerade bezahlten Urlaub auf Balkonien genießen: Fühlt auch bitte dazu verpflichtet diese Demo-Version des Bedingungslosen Grundeinkommens für nachhaltige Veränderung zu nutzen und solidarisiert euch mit allen jenen, denen es schlechter geht als euch. Wohlstand korrumpiert, aber ihr seid die Mittelschicht, die die finanziellen und zeitlichen Ressourcen hat nachhaltige Veränderung herbeizuführen. Gerade in Zeiten in denen „Qualitätsjournalismus“ zu einem Sprachrohr der Regierung verkommen ist, ist es umso wichtiger eine Gegenbewegung zu haben.

Spannend ist es auch wie es im Niedriglohnsektor weitergeht. Viele werden aktuell als Helden gefeiert – “ Somit sorgt das Corona-Virus nicht zuletzt auch für eine plötzliche Umverteilung des Sozialprestiges. Angestellte in Erwerbszweigen mit niedrigen Tariflöhnen sehen sich zum ersten Mal vor den Vorhang gebeten“ [19]. Dennoch ändert sich substantiell nichts für diese Berufsgruppen, es wird eher schlechter, denn mehr als Applaus gibt es für sie nicht. Pflege und Erntehilfe sind so unattraktiv, dass man kurzfristig die Grenze wieder aufmachen muss um Ausländische Kräfte ins Land zu holen [20][21].

Die ausländischen Pflegerinnen, denen man kürzlich noch die Familienbeihilfe gekürzt hatte, sind für die Arbeit aber „gut genug“ [20] und auch die Arbeitsbedingungen spielen keine Rolle [22]. Und als ob das nicht genug wäre, fällt einem auch noch die eigene Gewerkschaft in den Rücken [23]. Den MitarbeiterInnen im Einzelhandel mutet man ebenfalls alles zu. Die Einzige hilft kommt für die Konzerne – die bekommen personal vom Bundesheer [24]. Und auch sonst sind höhere oder angemessen Löhne keine Diskussion, im Zweifel müssen eben Freiwillige zum außerordentlicher Zivildienst und falls sich nicht genug finden ruft man sie eben zwangsweise ein [25]. Auch Frauen, die überproportional in den ‚plötzlich‘ systemrelevanten Berufen vertreten sind, wird kaum Gehör geschenkt und eine Aufwartung des Berufsstands nicht ihn Sicht. Familien die Probleme mit häuslicher Gewalt haben, werden alleine gelassen; Frauen wird lediglich geraten, bei der Helpline anzurufen. Im Bereich der (unbezahlten) Reproduktionsarbeit bleibt es letztendlich auch spannend ob der Lockdown die Verhältnisse hier verändert. Und was an unsereren Außengrenzen passiert, interessiert ohnehin schon lange niemanden.

„Wir überlassen 20.000 Menschen der Hölle von Moria, wo sie frieren, dürsten und hungern.Aber wir holen 40.000 Menschen aus Rumänien, damit uns der Spargel nicht verrottet. Die Würde des Spargels ist unantastbar…“ [26]

Wenn man Kritik an den Arbeitsbedingung übt und zum Arbeitskampf aufruft wird man fast schon als Terrorist abgestempelt. Es mangle einem an Solidarität. Ich frage mich welche Solidarität hier gemeint ist. Natürlich erklären wir uns Solidarisch mit den Menschen denen hier geholfen werden muss, aber wir müssen uns auch solidarisch mit den HelferInnen erklären. Wir leben nach wie vor im Kapitalismus, d.h. wir lösen Probleme mit Geld. Wenn die Regierung nicht willens ist die Arbeitsbedingungen so zu gestellten, dass die Leute sich nicht kaputt arbeiten und von ihrem Einkommen leben können, fordern sie letztendlich dass wir uns solidarisch mit der Idee eines kaputtgesparten Systems und der Privatisierung von Wertschöpfung erklären.

Neben dem Abbau sozialer Errungenschaften gibt es auch (negative) Bewegung beim Umweltschutz. Die USA schlagen kapital aus der Krise und kippen die Umweltauflagen [27]. Auch Tschechien nutzt die Gunst der Stunde um hier einen Vorstoß zu machen, kann aber ebensowenig erklären wie das gegen Corona helfen soll [28].

 

Auch die Demokratie scheint an Corona zu sterben

Noch schlimmer als die Maßnahmen und die Lage an sich, ist die Art wie mit Kritik umgegangen wird. Medien teilen Regierungsansagen als ob sie die einzige Wahrheit wären. Kritik an der „offiziell Meinung“ wird direkt als Kritik am Ganzen verstanden und öffentlich angeprangert. Auch Leute die Maßnahmen nicht ernst oder ernst genug nehmen, werden von ihren Mitmenschen bereitwillig ausgeliefert.

Die Demokratie lebt von Kritik. Grundsätzlich sollen alle (demokratisch vertretbaren [29]) Meinungen geäußert werden können. So kommen wir als Gesellschaft zu Lösungen. Gerade in einer Krise wie dieser ist es wichtig über die Fakten zu reden, denn niemand kann alleine entscheiden wie es weitergeht. Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft müssen im Dialog einen Weg finden. Für Diskussion braucht es Fakten und für Fakten braucht es Transparenz. Alleine hier scheitert es in Österreich schon, weil die Regierung nicht bereit ist, die Zahlen und Informationen wie die Lage tatsächlich ist mit der Wissenschaft und Öffentlichkeit zu teilen [30].

„In den letzten Monaten wurden über 2.000 Beiträge zu diesem Thema in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht: Keine einzige davon basiert auf österreichischen Daten! […] Wir sind deshalb noch immer größtenteils im Blindflug unterwegs“

Kurz regelt. Der Boulevard lanciert unserer Kanzler zum Held der Stunde, zum starken Mann, zum Krisenmanager. Aber warum? Neben der parteieigenen Maschinerie die eine Wiederwahl sichern und Umfragewerte steigern will, was nachvollziehbar ist, stellt sich dennoch die Frage warum wir einen „starken Mann“ brauchen sollten. Bisher hat er vor allem eins erreicht: Die stärkste Einschränkungen der Bevölkerung seit 1945. Und seriöserweise kann man nicht beurteilen ob er gute Arbeit leistet, wenn niemanden außer ihm die Fakten bekannt sind auf Basis derer er entscheidet. Auch dass sich die Regierung in Kriegsrhetorik [57] übt und Nationalbankchef Notvotny sogar von den positive Reinigungskräften der Kriese spricht [58], verheißt nichts gutes.

Es braucht Maßnahmen, aber die wichtigste Maßnahme, wäre transparente Kommunikation. In einem Experiment zum Thema Steuern fanden Wiener Forscher heraus, dass Zwang und Freiwilligkeit zu ähnlich hoher Steuerehrlichkeit führt, wenn Behörde eher auf Unterstützung und Information setzen [31]. Ähnlich verhält es sich auch hier. Wenn aber viele Menschen davon ausgehen, dass all ihre Mitmenschen geistig beschränkt sind und es einen starken Mann braucht der ihnen per Zwang den „richtigen Weg“ verordnet, führt das nur zum Faschismus: „Nach dem Führerprinzip organisiertes antiliberales […] Herrschaftssystem“ (wiki) [32].

Unsere Nachbarn sind schon einen Schritt weiter und seit 30.03 praktisch eine Diktatur [33]. Das kam aber nicht überraschen. Obrán arbeitet schon seit Jahren daran seine Macht auszubauen. Die Regierung hat den „Ausnahmezustand ohne zeitliche Beschränkung ausgerufen, Staatsführung erfolgt per Verordnungen, das Parlament wird ausgesetzt, es gibt keine Wahlen solange der Ausnahmezustand dauert, die Verbreitung von Fake News und Gerüchten werden mit bis zu 5 Jahren und das Verlassen der Quarantäne mit bis zu 8 Jahre Gefängnis bestraft“ [34] [35]. Nichtmal Orbán selbst konnte der Weltöffentlichkeit erklären, warum Ungarn diese Macht im Kampf gegen Corona braucht. Orbán hat seine neue Macht auch direkt genutzt um die Rechte von sexuellen Minderheiten einzuschränken (was auch immer das mit Corona zu tun hat…) [36].

Auch Polen arbeitet eifrig daran, die Demokratie im Land weiter abzubauen und ändert das Wahlsystem [37]. Die EU Kommissionschefin Von der Leyen reagiert indess doppelt falsch. Viel zu spät, und im Aufruf, indem sie die Bedeutung von unabhängigen Medien für die Demokratie betont und erklärt, dass die fundamentalen Prinzipien der EU nicht dem Kampf gegen das Coronavirus geopfert werden dürfen, schafft sie es Ungarn und Polen nicht zu erwähnen [38]. Die Rückmeldung kam Promt – Orbán hat den Aufruf ebenfalls unterstützt [39]. 17 EU Staaten haben den Aufruf unterstützt, Österreich ist nicht dabei und außer Ungarn auch sonst kein Land der Visegrád-Gruppe.

Kanzler kurz erklärt in einem Zib-Interview am 30.03, dass er „ehrlich gesagt keine Zeit habe, sich mit Ungarn auseinander zu setzen“ [40]. Am 31.03, also nur einen Tag später, erklärt er seine Unterstützt des US Vorschlags zum demokratischen Umbau Venezuelas [41]. So geht Außenpolitik.

 

Big Brother is watching you

Demokratischer Umbau meint meist etwas anderes, wenn US Vertreter die Phrase benutzen und auch wenn es vor allem im Bereich der Basisdemokratie so scheint – Die Demokratie wurde nicht erfunden um Gesellschaften handlungsunfähig zu machen. Ihr Zweck ist es Machtmissbrauch und Machtkonzentration zu verhindern. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass das Missbrauchspotential dieser Instrumente zu hoch ist – selbst wenn sie ursprünglich aus den besten Gründen eingeführt wurden.

„Den Überwachungsstaat den wir jetzt schaffen, wird Corona überstehen“ – Edward Snwoden

Jede Einschränkung der individuellen Freiheit muss sehr kritisch betrachtet werden. Autorität und Zwang sind Mittel, die mit bedacht eingesetzt werden müssen und nur dann wenn es absolut notwendig und verhältnismäßig ist. Keinesfalls dürfen wir es dazu kommen lassen, dass diese zum Mittel erster Wahl werden. Das führt dann zu Situation wie der aktuellen, wo „der Gesundheitsminister per Erlass vorschreibt, wie viele Personen in einer Wohnung sein dürfen und die Polizei an der Tür klingeln und das kontrollieren darf“ [42]. „Mit Erlässen und Verordnungen, die nirgendwo eine gesetzliche Grundlage haben, so regieren normalerweise nur Autokraten“ [43].

„Zu sagen, dass du keine Privatsphäre brauchst, weil du nichts zu verstecken hast, ist wie zu sagen, dass du keine Meinungsfreiheit brauchst, weil du nichts zu sagen hast“ – Edward Snowden

Im Zuge von Corona möchte ich ergänzen „und wie zu sagen, dass du keine Bewegungsfreiheit brauchst, weil du nicht rausgehn willst“. So entbehrt sich die Sperre der Bundesgärten ebenfalls jeder faktischen Logik [44] und könnte schon eher als Test verstanden werden, wie lange man Menschen in einer Betonwüste einsperren kann. Letztendlich geht es um den Erhalt der Gesundheit – Frische Luft und Sonne sind auch wichtig. Wir dürfen uns aber entsprechend der Prognosen noch auf eine Weile Corona-Lockdown einstellen und hier werden bestimmt weitere Maßnahmen folgen.

Die Bevölkerung durch die Polizei mit Musik zu beschallen war auch eine dieser interessanten Maßnahmen, die nach viel Kritik wieder einstellt wurde [45]. Es erinnert an eine Militärdiktatur und auch die Musikwahl ist interessant. Europaweit haben viele Radiosender gleich zeit den Song „You’ll never walk alone“ (Du wirst nie alleine gehen) [46] gespielt, in Österreich hat man sich für „I am from Austria“ entschieden. Wie hilft Nationalismus gegen Corona?

Weitere Maßnahmen und Forderungen sind auf dem Weg. So hat es nichtmal eine Woche gedauert, nachdem die Rot Kreuz App für Datenschutztechnisch quasi unbedenklich erklärt wurde [47] bis der erste aus den Reihen der ÖVP die zwangsweise Nutzung der App forderte [48]. Sobotka & Co sind schon in der Vergangenheit mit diversen Vorstößen in diesem Bereich aufgefallen (Bundestrojaner, Abschaffung anonymer Sim-Karten, KFZ-Kennzeichenüberwachung) die teilweise wieder vom VfGH einkassiert wurden [49]. Aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage geht hervor, dass das Innenministerium seit Ende 2019 über eine Gesichtserkennungssoftware samt Datenbank mit knapp zehn Millionen Gesichtsbilder verfügt und diese bereits zu Testzwecken einsetzt [54]. Über die Handy-Standort-Überwachung wird ebenfalls eifrig diskutiert und die Konzerne liefern bereitwillig, sogar pro-aktiv Daten und Bewegungsprofile der Bevölkerung [50]. Parallel dazu wird auch die „Message Control“ weiter ausgebaut und der Boulevard für das Drucken der „offizielen Ansichsten“ durch einen neuen Schlüssel zur Verteilung der Medienförderung belohnt [51].

 

Wort zum Sonntag

Staaten und private Haushalte machen massiv schulden, was dem Kapitalismus hilft, weil er vom Schulden-machen lebt. Die Zinsen für Fest- und Tagesgeld sind kürzlich wieder etwas gestiegen [52]. Staatliche Hilfspakete fließen in Konzerne und werden dort als Gewinne privatisiert. Die Zivilgesellschaft hat eine Diskussion angeregt, dass zumindest keine Dividenden ausgeschüttet werden [53].

Parallel zu unserem Wirtschaftssystem, das von seinem Scheitern nichts wissen möchten, leben die Autokraten diverser Länder gerade ihre Machtphantasien aus, bauen Freiheiten ab und Überwachung auf. Wir müssen das gemeinsam bekämpfen, denn es kommt auf jedeN EinzelneN an. Diese Systeme lassen sich nur umsetzen, wenn zu vielen Leuten egal ist, was um sie herum passiert. Sie machen sich zum Steigbügelhalter dieser Ideologien. In diesem Sinne, werden sich auch die Grünen bald entscheiden müssen, auf welcher Seite sie stehen.

„Es wird kein Zurück geben [denn der] Neoliberalismus hat versagt […], ob es sich eher solidarisch in Richtung sozial-ökologische regionale Ansätze entwickeln oder in Richtung einer autoritären nationalistischen bio-politischen Kommandowirtschaft, wird sich die nächsten Monate entscheiden“ [55]

Unsere Zukunft ist zu wichtig, als das wir es der Regierung überlassen könnten, wie die „neue Normalität“ aussehen soll. Die alte Normalität wird es nicht mehr geben, auch wen Medien, Regierung und YouTube Sternchen [56] den schein erwecken wollen.

„Trauen wir uns gemeinsam. Es gibt viel zu gewinnen“ (Der Wandel)

Es liegt ans uns zu definieren wie es mit uns und der Gesellschaft weitergeht und dafür braucht es eine breite, offene, transparente Debatte.

Co-Puplished on hagerhard, Piratenpartei & Wien Anders

 

Titelbild

  • Webfund, Proteste in HongKong

Links

Quellen

[1] https://orf.at/stories/3158757/
[2] https://www.tageskarte.io/zahlen/detail/100-millionen-euro-oesterreichs-regierung-legt-corona-hilfpaket-fuer-tourismuswirtschaft-auf.html
[3] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/was-tut-die-eu-1735156
[4] https://www.hagerhard.at/wenn-der-postmann-2mal-klingelt/2020/03/solidaritaet-mit-menschen-statt-konzernen/
[5] https://www.derstandard.de/story/2000116447687/eu-sitzungsprotokolle-regierungschefs-lehnten-eu-hilfe-ab
[6] https://www.krone.at/2126254
[7] https://www.tagesschau.de/inland/masken-coronavirus-101.html
[8] https://www.tagesspiegel.de/politik/umstrittene-unterstuetzung-in-der-corona-krise-europa-sollte-china-russland-und-kuba-dankbar-sein-fuer-ihre-hilfe/25685164.html
[9] https://www.tagesschau.de/investigativ/russland-italien-corona-101.html
[10] https://www.waz.de/politik/corona-krise-in-italien-waechst-der-frust-ueber-deutschland-id228848463.html
[11] https://www.derstandard.at/story/2000115772838/eilige-gesetze-und-strenge-worte-zur-eindaemmung-der-epidemie
[12] https://www.facebook.com/NeosDasNeueOesterreich/videos/516104052634632/
[13] https://www.facebook.com/Sozialdemokratie/photos/a.282762285080/10157765650770081/
[14] https://www.facebook.com/Volkspartei/photos/a.125384159418/10158208341479419/
[15] https://www.facebook.com/fpoe/videos/3221791971379589/
[16] https://www.facebook.com/diegruenen/posts/10157118371988034
[17] https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10010265
[18] https://www.facebook.com/fpoe/videos/157530202163388/
[19] https://www.derstandard.de/story/2000116245632/offen-die-zukunft-der-lohnarbeit-nach-dem-shutdown
[20] https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2055931-Wenn-rumaenische-Pflegerinnen-gut-genug-sind.html
[21] https://kurier.at/chronik/oesterreich/erntehelfer-fehlen-versorgungssicherheit-gefaehrdet/400786721
[22] https://www.moment.at/story/24-stunden-betreuerin-oesterreich?fbclid=IwAR2vc_6v0LpuVxEBo75-l6jfbYkcVyuLcCV97O7DczBWTaVKNpRg8v1LgNc
[23] https://www.facebook.com/kpoe.at/photos/a.272940922764295/3018932041498489/
[24] https://www.salzburg24.at/news/oesterreich/900-soldaten-schlichten-lebensmittel-85094629
[25] https://www.zivildienst.gv.at/Corona_Virus/start.aspx
[26] https://twitter.com/stephanpalagan/status/1245846099744653314
[27] https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/corona-krise-usa-kippen-umweltauflagen-fuer-unternehmen-a-69ee939a-e52d-4361-be6b-88e88b5e5471
[28] https://www.tagesschau.de/faktenfinder/coronavirus-auswirkungen-klima-101.html
[29] https://de.wikipedia.org/wiki/Toleranz-Paradoxon
[30] https://science.orf.at/stories/3200488/
[31] https://www.derstandard.at/story/2000057813508/zwang-und-freiwilligkeit-fuehren-zu-aehnlich-hoher-steuerehrlichkeit
[32] https://de.wikipedia.org/wiki/Faschismus
[33] https://orf.at/stories/3159914/
[34] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/coronavirus-ungarn-orban-notstandsgesetz-100.html
[35] https://www.facebook.com/pusztastranger/posts/1269446426598524
[36] https://www.queer.de/detail.php?article_id=35825&fbclid=IwAR3tL7xG1XCjPLUNmP9S-Hzfzyx-56Zn69PmHV2Tna1P3Kel2FcczIwg_Dc
[37] https://www.sueddeutsche.de/politik/polen-verfassung-praesidentschaftswahl-1.4861159
[38] https://www.sueddeutsche.de/politik/eu-polen-ungarn-rechtstaat-coronavirus-1.4864277
[39] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/eu-und-viktor-orban-warum-ungarns-regierungschef-wenig-zu-befuerchten-hat-a-ff8bc0ea-f10a-4559-b1ac-4bcf13d6b913
[40] https://www.facebook.com/kontrast.at/videos/3089977514388125/
[41] https://twitter.com/damitatweets/status/1245317897511211008
[42] https://www.facebook.com/NeosDasNeueOesterreich/photos/a.343844819044778/2811640802265155/
[43] https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2056559-Kritik-an-neuem-Erlass-fuer-haeusliche-Zusammenkuenfte.html
[44] https://www.heute.at/s/breite-front-in-wien-fur-offnung-der-bundesgarten-51181605
[45] https://www.derstandard.de/story/2000116034366/i-am-from-austria-trost-und-rat-und-ganz-viel
[46] https://www.mopo.de/hamburg/tolle-aktion-europaweit–darum-spielten-eben-alle-radiosender-diesen-song-36442096
[47] https://futurezone.at/apps/datenschutz-corona-app-des-roten-kreuz-ist-beinahe-unbedenklich/400795490
[48] https://www.derbrutkasten.com/nationalratsprasident-sobotka-fordert-zwangs-nutzung-der-corona-app/
[49] https://futurezone.at/netzpolitik/vfgh-bundestrojaner-und-kennzeichenerkennung-verfassungswidrig/400700466
[50] https://www.derstandard.de/story/2000115828957/mobilfunker-a1-liefert-bewegungsstroeme-von-handynutzern-der-regierung
[51] https://www.derstandard.de/story/2000116478907/geplante-corona-medienfoerderung-fuer-journalistengewerkschaft-massive-wettbewerbsverzerrung
[52] https://finanzmarktwelt.de/zinsen-fuer-privatanleger-steigen-was-das-mit-der-coronakrise-zu-tun-hat-162688/
[53] https://industriemagazin.at/a/stefan-pierer-rudert-zurueck-schuetten-keine-dividende-aus
[54] https://www.derstandard.at/story/2000116445514/innenministerium-setzt-gesichtserkennungssoftware
[55] https://www.derstandard.at/story/2000116385302/corona-krise-es-wird-kein-zurueck-geben
[56] https://www.youtube.com/watch?v=3z0gnXgK8Do
[57] https://kurier.at/politik/inland/historikerin-barbara-stelzl-marx-ueber-coronaviruspropaganda-hat-jetzt-hochsaison/400796057
[58] https://www.derstandard.at/story/2000115851717/nationalbankchef-holzmann-sicherstellen-dass-nur-die-ueberlebensfaehigen-firmen-ueberleben

https://basis.piratenpartei.at/wp-content/uploads/2020/04/EJvzYM4U8AMRrEd-1024x785.jpghttps://basis.piratenpartei.at/wp-content/uploads/2020/04/EJvzYM4U8AMRrEd-150x150.jpgPeter PostmannBeiträge von PiratenEs war der 21. Februar, ich war in Frankfurt am Flughafen gerade auf dem Weg nach Wien, stand beim Gate und die Sonne schien mir ins Gesicht. Als das Boarding beginnt, macht die Mitarbeiterin der Fluggesellschaft eine Durchsage: Alle Personen die sich in den letzten 14 Tagen in China...Wir leben Basisdemokratie!
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