Karl Nehammer bekommt ein novelliertes Gesetz zur Beugehaft, um das Gewaltmonopol des Staats durchzusetzen. Auch seinen Nachfolger Gerhard Karner, ein Innenminister mit fragwürdigem Verhältnis zum Austrofaschismus, wird das freuen.

Der VfGH hatte die Beugehaft zuvor als verfassungswidrig aufgehoben und das Gesetz musste repariert werden, sonst wäre es mit Ende des Jahres außer Kraft getreten. Dass sich der VfGH überhaupt mit diesem Thema beschäftigen musste, lag an einem Staatsangehörigen Nepals, der in Österreich einreiste und einen letztlich erfolglosen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) verhängte über die Person mehrfache Haftstrafen (Beugungshaft), um die Mitwirkung bei der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes zu erzwingen [1]. Das BFA ist eine dem Innenministerium unmittelbar nachgeordnete Behörde, sprich sie war Nehammer unterstellt, als dieser noch Innenminister war. Große Teile der Verwaltung hängen unter dem Inneministerium, daher kann bald-Innenminister Karner ebenfalls Gebrauch von dieser Möglichkeit machen.

Der VfGH hat festgestellt, dass Beugungshaft ohne zeitliche Begrenzung illegal ist, aber auch dann, wenn absehbar ist, dass selbst eine Anhaltung auf unbestimmte Dauer nicht zum Erfolg führen würde, z.B. weil der Fremde diese in Kauf nimmt, um die Aufenthaltsbeendigung zu vermeiden [2]. Neben der Limitierung auf eine fixe Dauer pro verhängter Beugungshaft (im Entwurf auf 1 Jahr festgelegt), forderte der VfGH Rechtsschutz für Betroffene, sprich einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle und eine Möglichkeit zur Maßnahmenbeschwerde. Als zusätzliches Zwangsmittel ist eine Geldstrafe vorgesehen, die von 726€ (10.000 Schilling) auf 2.000€ erhöht wurde. Substantiell hat sich an dem Gesetz nichts geändert.

Der VfGH hält dazu fest [1], dass

  • die Vollstreckung von Verpflichtungen, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse gelegen ist, als ultima ratio die Anwendung unmittelbaren (physischen) Zwangs vorsieht.
  • die Verhängung einer Beugehaft alternativ zur Geldstrafe notwendig ist, um einen rechtlich geforderten Zustand im Tatsächlichen herstellen zu können.
  • das Beugemittel mit dem Grad und der Hartnäckigkeit des Zuwiderhandelns eine Steigerung erfahren sollen.
  • die Befugnis in Summe zeitlich unlimitiert sein muss, weil es nicht dem Belieben eines säumigen Verpflichteten überlassen bleiben soll, sich durch Hartnäckigkeit des Zuwiderhandelns der Herstellung des rechtlich geforderten Zustandes und damit dem behördlichen Willen auf Dauer zu entziehen.
  • es der Sinn der Zwangsstrafe ist, „einen dem Willen der Behörde entgegenstehenden Willen einer Partei zu brechen“. Bei der Auswahl der Zwangsmittel sowie bei der Bestimmung ihrer Schärfe ist am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit („Schonungsprinzip“) festzuhalten.

Leute dürfen also nicht beliebig lang am Stück, aber beliebig oft und damit beliebig lang in Summe eingesperrt werden, die Strafe soll auch jedes Mal steigen, aber sie darf nur verhängt werden, wenn sie auch etwas bringt. Es ist also weder Fisch noch Fleisch, die persönliche Freiheit darf nicht zu stark eingeschränkt werden, aber es muss halt schon ein bisserl nervig sein. Klingt also insgesamt sehr österreichisch. An dieser Stelle gibt es keine Konkretisierung im novellierten Gesetz, es ist damit (noch immer) weitestgehend ungeeignet, um Rechtssicherheit zu schaffen. Im Einzelfall müssen also (nach wie vor) die Gerichte entscheiden, was gerade im Hinblick auf kommende die Corona-Impfpflicht nicht besonders vertrauensfördernd ist.

In der Ausschusssitzung betonte Friedrich Ofenauer (ÖVP), dass die Beugehaft als letztes Mittel zu verstehen sei

Grünen-Abgeordnete Agnes Sirkka Prammer unterstrich, dass ein Staat nur so stak sei, wie seine Möglichkeiten, Entscheidungen durchzusetzen. Sie wies auf einen eingebauten Rechtsschutzmechanismus hin

Johannes Margreiter (NEOS) […] führte weiter aus, dass es dabei nicht um klassische Gesetzesübertretungen gehe, sondern um individuelle Fälle

Christian Drobits (SPÖ) hob besonders die Beschränkung der Haft auf ein Jahr positiv hervor

Susanne Fürst (FPÖ) sprach die laufende Debatte zur Impfpflicht an, [es] sei nicht auszuschließen, dass eine Beugehaft speziell bei Impfunwilligen bald massenhaft zur Anwendung kommen könne. [3]

Der Nationalrat hat genau die beiden Punkte (Höchstdauer, Rechtsschutz) korrigiert, die vom VfGH beanstandet wurden. Die Aussagen der unterstützenden Parteien sind damit an Inhaltsleere kaum zu unterbieten, da sie lediglich loben, dass der Nationalrat umgesetzt hat, wozu ihn das Höchstgericht gezwungen hat. Die FPÖ wiederum verbreitet Angst, ohne einen Gegenvorschlag zu liefern. Auch NGOs wie Amnesty International kritisieren das neue Gesetz als ungeeignet [4]. Wir hätten uns hier einen breiten Diskurs und klare Regeln gewünscht, vor allem eine Konkretisierung, wofür genau dieses Gesetz benutzt werden soll, statt eines Freifahrtscheins für die Verwaltung.

Grundsätzlich geht es um Verwaltungsübertretungen, alles, was strafrechtlich relevant ist, wird ohnehin im Strafgesetzbuch behandelt. Weiters ist das nicht die einzige Möglichkeit des Staates, einen rechtlich geforderten Zustand herzustellen, er kann auch einfach Dinge veranlassen: Wenn jemand ein Haus in den Wald baut, kann er es abreißen, ein Fahrzeug beschlagnahmen oder ein Lokal zusperren. Darüber hinaus, kann der Gesetzgeber Strafen in den jeweiligen Gesetzen festlegen, wie dies z.B. bei der Impfpflicht angekündigt wurde [5]. Dort ist fragwürdig, ob überhaupt Beugungshaft verhängt werden dürfte, weil in vielen vermutlich abzusehen ist, dass sie nichts bringt, weil Impfunwillige impfunwillig bleiben. Auch bei Fremden, die zur Mitwirkung ihrer Ausreise gezwungen werden sollen, scheint Beugungshaft kein Weg, weil keine Aussicht auf Erfolg besteht. Schubhaft wiederum ist ohnehin in einem eigenen Gesetz geregelt.

Es ist also fraglich, wo der Staat das Gesetz überhaupt anwenden will. Es bleiben lediglich Verwaltungsverfahren, die keine klaren gesetzlichen Regeln haben (sonst gäbe es ja einen Prozess), d.h. dass es „nicht um klassische Gesetzesübertretungen gehe, sondern um individuelle Fälle, wenn beispielsweise einem Bescheid über eine zu erfolgende Handlung nicht Folge geleistet werde“ (Neos), wobei es so zu verstehen sei, dass „die Beugehaft als letztes Mittel zu verstehen sei, die ausschließlich dann zur Anwendung komme, wenn durch Geldstrafen dem Rechtsstaat nicht zum Durchbruch verholfen werden könne“ (ÖVP).

Gerade bei der ÖVP, die nicht gerade mit Humanismus und menschrechtsfreundlicher Politik glänzt, deren Gesetze regelmäßig von den Höchstgerichten einkassiert werden, die einen Kanzler wegen Ermittlungen wegen Korruptionsverdacht absetzen mussten, einen Neo-Kanzler hat, der Milde bei Terroristen und übertrieben Härte bei Schulkindern zeigt, dessen (Geheimdienst-)Mitarbeiter*innen sich etwas dazu verdienen und flüchtigen Finanzmanager und Pornoportalbetreibern helfen, aber Kolleg*innen, die gegen Rechtsextremismus vorgehen wollen, hinaus mobben [6] und die einen Innenminister stellt, der offen von den Grünen für sein Verhältnis zum Austrofaschismus kritisiert wird [7], läuft uns ein kalter Schauer über den Rücken.

Bei einem Blick über die Grenzen, was diese „individuellen Fälle“ sein können, gefriert uns schließlich das Blut:

  • Mit einer kurzen Unterbrechung befindet sich Chelsea Manning seit einem Jahr in Haft. Beugehaft, um sie zu einer Aussage gegen Wikileaks und Julian Assange zu zwingen [8].
  • Ein 22-jähriger Informatikstudent wurde in Großbritannien zu sechsmonatiger Haft verurteilt. Entgegen richterlicher Aufforderung hatte er nicht das Passwort für seinen beschlagnahmten Rechner herausgegeben [9].
  • Georg Thiel sitzt seit 3 Monaten im Knast, weil er die GEZ-Gebühren nicht zahlt, weil er weder ein TV, noch Radio besitzt [10]. Die Beugungshaft wurde verhängt, um ihn zu zwingen, sein Vermögen offenzulegen. Das war eine Konstruktion, um zu umgehen, dass wegen der GEZ Gebühren keine direkte Beugungshaft verhängt werden kann [11].

Wir sprechen uns daher gegen die Novellierung dieses Gesetzes in dieser Form aus. In Anbetracht der Fristen aber jedenfalls für eine Novellierung mit Ablaufdatum. Bis dahin soll das Gesetz unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft überarbeitet, Sachverhalte durch den Gesetzgeber konkretisiert und exemplarisch aufgelistet werden (Positiv-Liste), statt dem Vollzug einen Blanko-Check zu geben.

Unsere Stellungnahme zur Regierungsvorlage kann hier unterstützt werden: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/SN/SN_05953/

 

 

 

[1] https://360.lexisnexis.at/d/entscheidungen-ris/vfgh_g1642020_ua/u_verfassung_VfGH_2020_JFT_20201007_20G_98456d17f2?origin=rl&searchId=202112050932561&page=1
[2] https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFR_20201007_20G00164_01/JFR_20201007_20G00164_01.html
[3] https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2021/PK1396/#XXVII_I_01176
[4] https://www.amnesty.at/news-events/oesterreich-warum-die-wiedereinfuehrung-der-beugehaft-menschenrechtlich-problematisch-ist/
[5] https://www.profil.at/oesterreich/impfpflicht-droht-hardcore-verweigerern-am-ende-die-haft/401819998
[6] https://kontrast.at/nehammer-ruecktritt/
[7] https://www.derstandard.at/story/2000131678077/der-designierte-innenminister-und-das-dollfuss-museum-in-seiner-heimat
[8] https://taz.de/Chelsea-Manning-ein-Jahr-in-Beugehaft/!5667627/
[9] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Beugehaft-gegen-Studenten-Britische-Justiz-will-Passwort-2253408.html
[10] https://twitter.com/AliCologne/status/1402535099502153730
[11] https://uebermedien.de/60815/rundfunkbeitrag-georg-thiel-der-mann-der-ins-gefaengnis-ging-um-gez-rebell-zu-werden/

Foto: Meme, Screenshot

https://basis.piratenpartei.at/wp-content/uploads/2021/12/Nehammer-Knueppel-1024x1024.jpghttps://basis.piratenpartei.at/wp-content/uploads/2021/12/Nehammer-Knueppel-150x150.jpgPeter PostmannBeiträge von PiratenKarl Nehammer bekommt ein novelliertes Gesetz zur Beugehaft, um das Gewaltmonopol des Staats durchzusetzen. Auch seinen Nachfolger Gerhard Karner, ein Innenminister mit fragwürdigem Verhältnis zum Austrofaschismus, wird das freuen. Der VfGH hatte die Beugehaft zuvor als verfassungswidrig aufgehoben und das Gesetz musste repariert werden, sonst wäre es mit Ende des...Wir leben Basisdemokratie!
Kaper die Netzwerke