Das ist Abspalterei!

Wenn man so quer durch die politische Landschaft blickt, dann gibt es nicht wenige, denen dabei wechselweise mulmig, zum Weinen, oder auch schlecht wird. Zwar wurde in Österreich „der Umschwung“ nochmal abgewendet, aber in fast allen europäischen Ländern gibt es teils sehr agressive nationalistische Tendenzen. Geradeso als würde die Rückbesinnung auf Nationalstaaten irgendetwas verbessern können. Klar, es ist eine Frage der Identität, aber eigentlich hoffte ich, dass wir menschlich weiter sind, als uns über die Grenze zu „den anderen“ zu definieren.

Offenbar ist dem aber nicht so. Weder das links-politische Spektrum noch die liberale Weltsicht scheint auf breiter Ebene dazu in der Lage, Identität zu stiften. Es reicht eben nicht, wenn wir in tiefstem Frieden, Wohlstand und mit einer neugierigen Offenheit unsere Länder gegenseitig bereisen und dabei unsere kulturellen Horizonte erweitern. Um genau zu sein, reicht das schon, aber leider statistisch nur den unter 30-jährigen Gebildeten. Der Rest hat mit dieser EU nicht viel am Hut und mit der Politik im allgemeinen auch nicht mehr. Ein sehr frustrierender Zustand gerade für politisch aktive und motivierte Menschen jeglichen Alters.

Man möchte meinen, dass in so einem Umfeld die Lager näher zusammen rücken und sich gemeinsam darum bemühen, Politik, Diskurs und Demokratie wieder interessanter zu gestalten. Dem ist aber nicht so. Die ÖVP kann derzeit nicht reaktionär genug sein und ist fleißig dabei auch noch jedem Bürger in Hintertupfing das Gefühl zu geben, der Staat habe ein väterliches Auge auf ihn, auch wenn das in Straßenumfragen beinahe wöchentlich als eher unangenehm beschrieben wird. Mehr Sicherheit ja, aber nicht auf Kosten der Privatsphäre. So der Tenor. Wurscht. Man macht es trotzdem.

Am anderen Ende geschieht das, was immer geschieht, wenn man sich festgefahren hat. Die KPÖ beansprucht ihre Führungsrrolle als altgedienteste und schon immer wahre Alternative zum herrschenden System und bleibt dabei auch recht ungeniert in einer „Wir haben’s doch gesagt“ – Pose stecken, ohne diesen Führungsanspruch mit Ideen oder Elan zu untermauern. Der Rest liegt im Clinch und reformiert sich gerade wieder einmal zu etwas ganz Neuem, mit neuem Schwung, ähnlichen bis gleichen Gesichtern, ähnlichen Bildern und Slogans. Aber es soll ganz neu und diesmal auch richtig kräftig daherkommen und die Leute mitreißen! Das wird es möglicherweise auch, zumindest 2-3 Jahre. Dann wird auch wieder das passieren, was immer passiert. Es stagniert.

Manche werden ihre Positionen behaupten, andere werden das kritisieren. Manche werden sich abwenden, andere sich um Konsens bemühen. Letztlich wird ein viel zu aufgeblähtes Regelwerk, denn die Strukturen müssen ja flach bleiben, über den Köpfen der wenigen noch engagierten Mitglieder thronen und die Energien dieser wenigen absorbieren wie ein dunkler Moloch der Bürokratie. Dann wird es wieder fad. Man hat sich festgefahren. Wiedermal. Etwas neues muss her. Man spaltet sich ab. Auf zu neuen, glorreichen Versprechungen. Diesmal aber wird es ganz anders. Bestimmt. In der Ecke wachelt die KPÖ mit ihren Fahne und hat’s doch schon immer gesagt.

So oder so ähnlich…

… läuft das nun schon seit 1945. Die Grünen, als einzige relevante Gruppierung dieser ewigen Abspalterei, entstand nicht aus dem Wunsch enttäuschter Parteimitglieder, jetzt aber etwas wirklich neues schaffen zu wollen. Es war eine sich fügende, logische Entwicklung aus der Anti-Atombewegung, zahlreichen Bürgerinitiative und des mangelnden Angebots bestehender Parteien. Es war ein Ruck durch die Gesellschaft gegangen, der Platz schaffte.

Ähnlich sind auch die Piraten entstanden. Auf eine andere Art und global viel verteilter. Es war eine Konsequenz dessen, dass die Lebensrealität vieler, vor allem junger und technik-affiner Menschen, nicht mehr mit dem Angebot der Parteien übereinstimmte. Es war ein Bekenntnis zu Freiheit, Gleichheit und Demokratie in einer Welt, die sich politisch nicht mehr weiterentwickelte. Die Veräußerung der Politik an die Wirtschaft, die Aushöhlung des Rechtsstaats, die Einführung von Massenüberwachung auf globaler bis regionaler Ebene, Snowden, Manning und das Unvermögen etablierter Parteien zu verstehen, dass hier etwas ganz neues anrollt, haben diese Entstehung legitimiert. Anders als andere Parteien haben sich die Piraten aber nicht in starre Hierarchien und parteipolitisches Hick-hack verloren und ganz sicher haben sie sich nicht den Geschäftemachern als Türöffner angeboten. Ja, es ist etwas leise um sie geworden, gerade in Österreich. Wirkliche Gründe dafür gibt es aber wenige.

Die Piraten …

…sind nachwievor eingebunden in eine weltweite Bewegung, die nicht mehr verschwinden wird. Sie werden erkannt und sie sind sich ihrer Ideale im wesentlichen treu geblieben. Basisdemokratie & Liquid-Democracy, Transparenz, Laizismus und Liberalismus ist bei allen ihren Parteien vor Ort gewahrt. Ihre Tools sind modern und vor allem nicht starr. Dazu sind sie skalierbar.

Natürlich wurden Fehler gemacht und es wird gestritten, ob Piraten überhaupt auf Facebook sein dürfen, oder ob Liquid-Democracy in dieser Form sinnvoll eingesetzt werden kann. Bei all diesen Geschehnissen handelt es sich aber selten um wirkliche einschneidende Änderungen oder gar Revolutionen, sondern mehr um das allgemeine Herumgefucke, das dem Piraten halt so liegt. Gerade weil das Klientel der Piraten auch heterogen ist. Sowohl Struktur als auch Satzung sind in Österreich noch immer dieselbe, wie sie von den Mitgliedern in früheren Jahren geschaffen und abgestimmt wurden. Technische Infrastruktur, Parteiapparat und Aufwand für beides sind schlank und praktikabel.

Eine basisdemokratische Partei ist immer nur so aktiv wie seine Mitglieder.

Das ist der Struktur geschuldet und genau das war aber immer auch die Idee dahinter. Die Partei sollte nie Selbstzweck sein, sondern Dienst an der Sache, juristischer Unterbau und idealerweise Geldgeber für Initiativen & aktive Arbeit vor Ort und Werbefläche für die Themen, die angesprochen werden müssen.

Leider hat es sich in den letzten Jahren mehr und mehr durchgesetzt, dass Gruppierungen sich lieber in NGOs, Vereinen und auch anderen politischen Aktivistengruppen zusammenfassen. Die Begründung, die vielfach zu hören ist: Weil wir uns dort unserer Arbeit widmen können, anstatt ständig zu streiten. Das ist soweit nachvollziehbar. Dennoch wurde damit auch vieles aufgegeben. Nicht zuletzt die reale Chance sich auf parlamentarischer Ebene Gehör zu verschaffen UND dafür auch noch bezahlt zu werden.

Wahrscheinlich ist es genau dieser Grund, der viele (ehemalige) Symphatisanten dazu bringt, sich nun wieder und aufs neue bei der Vision einer neuen, frischen, starken, linken Bewegung zu engagieren. Denen möchte ich eine Frage stellen:

Wie realistisch ist es in Österreich, eine Bewegung aus dem Nichts hinzustellen, die gegen den Widerstand der KPÖ, des gesamten etablierten Parteienspektrums und nicht zuletzt den Medien, tatsächlich etwas im Kern besseres darstellt als die Piraten?

Es muss eine neue Marke, eine neue Struktur, neue Verbindungen und ein neuer modus vivendi gefunden werden, der sich wahrscheinlich nicht allzusehr von dem der Piraten unterscheiden wird. Denn in Wirklichkeit wollen wir ja alle dasselbe. Mitentscheiden, nicht übergangen werden, Unterstützung für unsere Anliegen, Kohle. Es wird also auf etwas ähnliches hinauslaufen. Nicht mit dem Wort „Pirat“ und nicht mit demselben Violett. Die Anliegen werden aber gleich sein, ja sogar viele der Menschen, werden dieselben sein, mit denen man vorher schon aktiv war.

Ein wesentlicher Unterschied wird sein, dass es keine internationalen Partner gibt. Dass es keine direkt vergleichbare Truppe im Nachbarland geben wird, von der man lernen kann. Dass man keinen Namen hat, den man kennt.

Noch eine letzte Frage:

Ist es das wert, sich all das wieder von vorne anzutun, die 10 Jahre zu investieren, um das Ding in Gang zu bringen, nur weil man von Leuten gekränkt wurde, die wahrscheinlich gar nicht mehr bei den Piraten sind?

Wir haben ein tolle Satzung, ein funktionierendes System, eine Marke. Wir haben Basisdemokratie, wir haben Infrastruktur. Was wir nicht haben, sind genügend Aktivisten und Aktivistengruppen, Arbeitskreise, Themensprecher.

(desertrold)

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