Komplexe Systeme und einfache Gemüter
Einfache Lösungen auf komplexe Fragen zu geben scheint mehr und mehr Standard in der Politik zu werden. Besonders gilt das in Wahlkampfzeiten.
Die Erkenntnis, dass die Welt im Allgemeinen und Staaten im Besonderen komplexe Systeme sind hat schon Fred Sinowatz mit dem Satz „Es ist alles sehr kompliziert“ formuliert. Die Konsequenz daraus hat allerdings noch niemand gezogen. Komplexe Systeme lassen sich nicht mit einfachen Instrumenten organisieren.
Herrschaft ist, auch wenn es das Volk selbst herrscht, der einfachste aller Instrumente. Der Versuch ist genau so zum Scheitern verurteilt, wie jener ein Auto mit Hilfe einer Peitsche zu steuern, nur weil das bei der Pferdekutsche prima funktioniert hat.
Würden sich heute Russland und USA auf einen gemeinsamen Plan für Syrien einigen, es könnte das Problem nicht lösen. Zu viele Akteure stehen in Wechselwirkung. Das Modell der Nachkriegszeit hat als Lösungsmöglichkeit ausgedient.
1959 entwickelte Stafford Beer, der Begründer der Managementkybernetik das „Viable System Model“, das Modell lebensfähiger Systeme. Laut Wikipedia formulierte Beer Lebensfähigkeit wie folgt:
„Nicht Gewinnmaximierung, sondern Überleben muss das Ziel sein.Nicht die Führung von Menschen, sondern das Lenken bzw. Steuern und Regulieren ganzer Organisationen in ihrer Umwelt ist entscheidend. Nicht wenige Menschen managen, sondern alle müssen bestimmte Funktionen des Managements ausüben.“
Das Modell gelangte unter Salvador Allende in Chile im Projekt Cybersyn zur praktischen Umsetzung. Allende wollte mittels eines Computers und einem Netzwerk von Fernschreibern die Wirtschaft des Landes steuern. 1972, als 40.000 streikende Lastwagenfahrer die Zufahrtsstraßen nach Santiago blockierten, konnte die Versorgung der Stadt mittels Cybersyn und nur 200 Lkws gesichert werden. Allerdings kam der zentrale Computer selbst gar nicht zum Einsatz. Vielmehr nutzten vor Ort Logistiker das Fernschreibernetz um Informationen auszutauschen und die Versorgung zu organisieren.
In Mumbai gibt es einen Lieferdienst mit rund 5000 Beschäftigten, der täglich um die 200.000 Mahlzeiten von Zuhause an den Arbeitsplatz bringt und anschließend das Geschirr wieder zurück transportiert, die Dabbawallas. Viele der Beschäftigten sind Analphabeten, es existiert kein Management – niemanden, der das System steuert. Die Informationsübermittlung erfolgt mittels Farb- und einfachen Zeichencodes. Die Fehlerquote tendiert gegen null. Das System hat sich seit ca. 1880 so entwickelt und wächst trotz der Konkurrenz durch andere Essenslieferer nach wie vor.
Beiden Beispielen gemeinsam ist, dass sie zeigen, dass Vernetzung, Selbstorganisation und Selbstregulierung in der Lage sind komplexe Aufgaben besser zu bewältigen, als eine zentrale Steuerung.
Diese Erkenntnis ist in der Wirtschaft bereits angekommen. Die Politik setzt nach wie vor auf umfassende Überwachung und Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten der BürgerInnen – ein Irrweg.
Das Scheitern dieser regulatorischer Politik hat sich erst kürzlich beim Umgang mit E-Zigaretten gezeigt. Ursprünglich, unter der Wahrnehmungsschwelle der Politik angesiedelt, hat sich ein System entwickelt, das in der Lage gewesen wäre die „Volkskrankheit Rauchen“ in einem Ausmaß einzudämmen wie es bislang kein Programm und kein Medikament zustande zu bringen vermochte. Erzeuger, Händler und Konsumenten operierten stark vernetzt und auf Augenhöhe miteinander. Für Problem wurden von den Konsumenten Lösungen eingeforderter, die Hersteller haben sie geliefert.
Der massive staatliche Eingriff hat dieses System zumindest schwerst beschädigt, die Entwicklung zurückgedrängt und der Tabakindustrie den Markt wieder zurückgegeben.
In der Vergangenheit war einer der Slogans der Piraten „Wir sind die mit den Fragen.“ Im Umgang mit Komplexen Systemen müssen sich die Antworten herauskristallisieren. Im Vorteil ist der, der die richtigen Fragen zu stellen vermag.
https://basis.piratenpartei.at/blog/2017/05/19/komplexe-systeme-und-einfache-gemueter/Beiträge von PiratenEinfache Lösungen auf komplexe Fragen zu geben scheint mehr und mehr Standard in der Politik zu werden. Besonders gilt das in Wahlkampfzeiten. Die Erkenntnis, dass die Welt im Allgemeinen und Staaten im Besonderen komplexe Systeme sind hat schon Fred Sinowatz mit dem Satz 'Es ist alles sehr kompliziert' formuliert. Die...Wolfgang SamsingerWolfgang Samsingersaw@samsinger.atEditorppAT Basisblog
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