Mit großem Bedauern mussten wir feststellen, dass in unserer Schwesterpartei, der Piratenpartei Deutschland, kürzlich sehr fragwürdige Dinge vorgefallen sind. Dazu möchten wir die Vorgänge hier chronologisch aufarbeiten und dazu Position beziehen.

Den Ausgang nahm ein Tweet der politischen Geschäftsführerin Ute Elisabeth Gabelmann aka @piratenlily vom 5. September: https://twitter.com/Piratenlily/status/1037359655113158658

Darin unterstellte die politischen Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland, dem Journalisten Ismail Küpeli antwortend, dass die Fotografin des toten #AylanKurdi den Leichnam „zurechtgerückt“ habe, um ihn „fotogener“ zu machen.

Dieses Narrativ ist uns aus rechtsextremen Kreisen bekannt, die zwar anerkennen, dass Aylan Kurdi tatsächlich tot angeschwemmt wurde, dass man aber aktiv daran beteiligt sei, die Ereignisse zu überspitzen, sie propagandistisch auszuschlachten und damit die „Schleppermafia“, wie Seenotretter in diesen Kreisen genannt werden, medial zu legitimieren.

Dass dieser Tweet für einige Aufregung, sowohl beim benannten Journalisten und dessen Twittergemeinde, als auch bei der Piratenbasis gesorgt hat, ist wohl nachvollziehbar. Auch dass dieser Tweet immer noch online ist, dürfte bereits vorweg nehmen, wohin diese Geschichte in etwa gehen wird.

Nun ist es in der Tat so, dass dieser Tweet von @piratenlily von ihrem Privataccount gesendet wurde, es sich also um keine offizielle Aussage der Piratenpartei Deutschland handelt. Das wurde in einem Tweet des Bundesvorstands am Tag darauf auch klar gemacht: https://twitter.com/PiratenVorstand/status/1037673029508259846

„Wir stellen hiermit klar, dass Meinungen und Äußerungen von BuVo-Mitgliedern, welche diese über ihren privaten Twitteraccount verbreiten, weder die Meinung des Bundesvorstands noch die Parteimeinung darstellen.“

Sehr wohl klar ist aber auch, dass weder Ismail Küpeli, noch die Öffentlichkeit zwischen Privataccounts oder offiziellen Accounts groß unterscheiden. Wer als Organ einer Partei private Meinungen öffentlich kundtut, muss immer damit rechnen, dass diese auch der Partei zugeordnet werden und damit auch etwaige Reaktionen auf die Partei zurückfallen. Das ist weder neu, noch akzeptieren wir solche Entgleisungen von Parteifunktionären bei anderen Parteien.

Daher ist es uns wichtig, klarzustellen, dass wir die Distanzierung des Bundesvorstands der Piratenpartei Deutschland als keineswegs ausreichend, noch als scharf genug formuliert wahrgenommen haben. Im Gegenteil. Sie erweckt eigentlich den Eindruck, dass es in Ordnung sei, als Funktionär(in) auch völlig obskure Meinungen vertreten zu können, die weit außerhalb jeder Beweisbarkeit und damit des demokratischen Konsenses liegen. Selbstredend hat auch die Basis wenig positiv auf diese butterweiche Formulierung reagiert, was den Konflikt noch weiter angeheizt und damit noch mehr Aufmerksamkeit erzeugt hat.

Über diese „Distanzierung“ entsetzt, hat der Bundesvorstand der Piratenpartei Österreichs noch am selben Tag ein offizielles Schreiben an den Bundesvorstand der Piratenpartei Deutschland verfasst, in dem wir das Krisenmanagement der Parteiführung kritisierten und darauf hinwiesen, dass solche Verfehlungen auch auf die österreichischen und auf die gesamte deutschsprachige Piratenbewegung Auswirkungen haben. Wir legten dem Bundesvorstand daher entsprechende Maßnahmen nahe und hofften auf eine baldige Regelung.

Noch am selben Abend, dem 6. September, fand zufälligerweise eine turnusmäßige Bundesvorstandssitzung im Mumble statt, bei der man sich entsprechende Konsequenzen erhoffte. Es wurden auch Anträge für personelle Maßnahmen eingereicht. Der Zuhörerraum war mit mehr als 100 Personen gefüllt. Es waren also deutlich mehr Interessierte anwesend, als dies bei regulären Sitzungen sonst üblich ist. Das Interesse war also groß.

Nachdem der Bundesvorstand unbeeindruckt zunächst die Tagesordnung abgearbeitet hatte, nahm man Bezug auf diese Vorfälle. So verwies man auf eine Entschuldigung, die @piratenlily kurz vor Sitzungsbeginn öffentlich gemacht hatte: http://stadtraetin.piratenleipzig.de/2018/09/06/persoenliches-statement/

„Das Foto eines auf der Flucht nach Europa ertrunkenen Jungen ist ein emotionales Symbol für das Sterben unzähliger Menschen im Mittelmeer. Daß ich die Umstände der Aufnahme des bekannten Fotos hinterfragt habe, war in diesem Kontext ein Fehler, weil dies die Botschaft des Fotos in Zweifel ziehen kann.
Ich bitte dafür um Entschuldigung und übernehme die volle Verantwortung, auch vor meinen Bundesvorstandskollegen, die über Ordnungsmaßnahmen entscheiden werden.
Zu dem Ruf nach personellen Konsequenzen teile ich mit, daß in wenigen Wochen die Neuwahl des Bundesvorstands ansteht und ich – wie wegen der im nächsten Jahr anstehenden Wahlkämpfe bereits feststand – nicht erneut kandidieren werde.“

Dieses „persönliche Statement“ ist gleich aus mehreren Gründen völlig inakzeptabel.

Erstens wird unterstellt, man würde sich hier ob eines „emotionalen Symbols“ über Gebühr echauffieren und das auch nur, weil @piratenlily etwas „hinterfragt habe“, also so, als wäre Weiterdenken nicht mehr erlaubt. Das ist eine Verhöhnung der Menschen, die sich hier völlig zurecht über diese Entgleisung, die mit einer Organstellung in einer demokratischen Partei sicher nicht vereinbar ist, beschweren.

Zweitens verweist @piratenlily, was den vielfach geforderten sofortigen Rücktritt angeht, einfach auf die bald anstehenden Wahlen. Sie sieht also gar keinen Grund hier wegen irgendetwas zurückzutreten. Das ist kaltschnäuzig ohne Ende und einer Führungskraft mit politischem Verantwortungsbewusstsein völlig unwürdig.

Anstatt diese Sachverhalte aber anzusprechen, hat der Bundesvorstand sich in dieser Sitzung dazu entschieden, das Recht auf „private Meinung“ zu verteidigen und darüber hinaus es als „Frechheit“ zu titulieren, dass öffentlich Kritik am Vorgehen bzw. am Nichthandeln des Bundesvorstands genommen wurde.

Man zog sich dann zum satzungskonformen nicht-öffentlichen Teil der Sitzung zurück, beratschlagte eine Stunde und verließ dann wortlos die Sitzung. Ganze fünf (!) Tage sollte es dauern, bis man sich zu diesen Vorfällen weiter äußern würde.

Nun ist das lang erwartete Statement, mit der dieser Fall ad acta gelegt werden soll, also da:
https://twitter.com/Piratenpartei/status/1039423300382932992

Darin wird eingeräumt, dass der Tweet dazu „geeignet sei“ „missverstanden zu werden“. Man „distanziere sich ausdrücklich“ von diesem Tweet.

Es ist wohl nachvollziehbar, dass nach knapp einer Woche des geduldigen Wartens, das nicht die Reaktion ist, die wir uns erhofft hatten. Einerseits wird unser offizielles Schreiben bis heute keiner Antwort gewürdigt, was an und für sich schon völlig indiskutabel ist, andererseits scheint man im Bundesvorstand der Meinung zu sein, dass man auf Verfehlungen von Mitgliedern nicht zu reagieren brauche, selbst wenn -natürlich rein zufällig- sogar ein Mitglied des Bundesvorstands „aus persönlichen Gründen“ hinschmeißt.

Das Signal an die Basis und die Piraten ist klar: Uns ist egal, was ihr fordert. Uns ist auch egal, ob die Partei Schaden nimmt. Ja, es ist uns sogar egal, wenn wir Vorstandsmitglieder verlieren. Was wir nicht zulassen ist, uns vorschreiben zu lassen, was wir tun sollen. Auch wenn es moralisch das Richtige wäre.

Die Signalwirkung dieses Statements muss sowohl nach außen wie auch innen als katastrophal verstanden werden, weswegen wir, der erweiterte Bundesvorstand der Piratenpartei Österreichs, uns auch klar dazu äußern wollen:

Menschenverachtende Äußerungen haben in der Piratenpartei und in der Piratenbewegung keinen Platz. Personen, die Narrative und Verschwörungsmythen von jenseits des demokratischen Spektrums übernehmen und transportieren, können und dürfen keine Organstellung innerhalb der Piratenpartei einnehmen. Sollte so etwas doch vorkommen, erwarten wir uns den sofortigen Rücktritt, anderfalls sind solche Personen umgehend mit einem Parteiausschlussverfahren zu entfernen.

Wir haben kein Verständnis für die Vorgehensweise des deutschen Bundesvorstands.

Hier wurde die Lage sogar noch verschlimmert, anstatt den Schaden für die Piraten zu begrenzen. Weder wurden angemessene Konsequenzen gezogen, noch hat man sich zeitnah erklärt, stattdessen hat man sich mit Lippenbekenntnissen als völlig haltungslos bewiesen. Das ist nicht nur peinlich, sondern knüpft auch an Ereignisse und Fehlleistungen an, die der Piratenpartei in der Vergangenheit immer wieder Reputation, Mitglieder und Wähler gekostet haben.

Was uns angeht, wollen wir versichern, dass wir weder mit unserer Basis, noch untereinander so verfahren. Wir tragen füreinander Verantwortung und müssen den Schaden für die Partei jedenfalls möglichst klein halten. Das hieße in diesem Fall sofortiger Rücktritt und sollte der verweigert werden, Parteiausschlussverfahren. Darin sind wir uns einig.

Wir bedauern sehr, dass man sich in Deutschland nicht zu konsequenten Maßnahmen durchringen konnte.

Wien, den 11.09.2018,
der erweiterte Bundesvorstand der Piratenpartei Österreichs

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