Kanzler Kurz brüstet sich nach seiner Fotosession in Brüssel damit, auf dem EU-Gipfel ein gutes Ergebnis erzielt zu haben. Eine Schuldenunion habe er verhindert, die Steuerzahler entlastet und Reformen gesichert. Schaut man sich die Fakten genau an, bleibt von diesen Marketingversprechen freilich nichts übrig. Um eine Schuldenunion ist es nie gegangen und sie wurde von niemandem gefordert. Der Kanzler hat hier von Anfang an gegen imaginäre, von ihm selbst erträumte, Windmühlen gekämpft. Es gab nichts zu verhindern und die Darstellung, es sei anders gewesen, war allein ein Narrativ, um sich innenpolitisch in Szene zu setzen, vom Ibiza-Untersuchungsausschuss abzulenken und sinkenden Umfragewerten entgegen zu steuern.

Ökonomisch hat sich die österreichische Regierung bei den Verhandlungen als Bremsklotz erwiesen. Schließlich geht es darum, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise durch solidarisches Handeln schnell zu überwinden. Ziel ist es dabei, die besonders betroffenen Staaten nicht der wirtschaftlichen Depression anheim fallen zu lassen, sondern frisches Geld für die Ankurbelung der Nachfrage und die Überwindung von Liquiditätsengpässen zur Verfügung zu stellen. Nachhaltig wirkt so eine Maßnahme allerdings nur dann, wenn man den Staaten, die seit Jahren ohnehin eine straffe Austeritätspolitik fahren, um ihre Überschuldung abzubauen, nicht zum Aufbau neuer Schulden drängt. Stützen sich die Hilfen zu sehr auf Kredite, statt auf nicht rückzahlbare Investitionen, geraten diese Bemühungen sehr schnell zu einem Strohfeuer, das mittel- und langfristig mehr Schaden anrichtet, als es für den Moment nützt.

Tatsächlich schadet also kurzsichtige Erbsenzählerei allen Staaten, auch denen, die sich in der Position der Nettozahler überlegen fühlen, und andere Mitgliedsländer als „kaputte Systeme“ bezeichnen, wie Kurz dies getan hat. An der Stelle sind wir jetzt, beim angeblichen Nutzen für die Steuerzahler*innen, die der Kanzler für seine Politik in Anspruch nimmt.

Österreich zahlte 2019 3,1 Milliarden EUR als Beitrag in die EU ein. Der Rückfluss von Zahlungen aus der EU nach Österreich betrug hingegen 1,34 Mrd. Daraus ergeben sich Nettozahlungen in Höhe von 1,76 Mrd.

Das ist aber nicht die ganze Rechnung, denn der Nutzen, den die EU für Österreich bringt, ist ungleich höher. Das sagen nicht nur wir Piraten. Lassen wir hier einmal die WKO und den Kurz-Intimus Harald Mahrer als Kronzeugen auftreten:

Im österreichischen Außenhandel werden 7 von 10 Euro mit der EU abgewickelt. Die Exporte in die heute 27 EU-Länder sind seit 1995 ums Dreifache gestiegen – von 33 Milliarden Euro auf 105 Milliarden Euro 2018. Zudem hat der Standort Österreich deutlich an Attraktivität gewonnen: Der Zufluss an ausländischen Investitionen hat sich auf durchschnittlich 6,9 Milliarden Euro pro Jahr verfünffacht, der Bestand an Direktinvestitionen ist mit rund 176 Milliarden Euro sogar elf Mal so hoch wie 1995. In Summe haben die diversen Integrationsschritte – vom Beitritt über die Erweiterung bis zum Euro – Österreich eine zusätzliche Wertschöpfung von über 63 Milliarden Euro und pro Jahr im Schnitt zusätzlich 18.500 Jobs gebracht.

Wer sich also damit rühmt, der EU ein paar Nüsse weniger dafür zu geben, den Laden am Laufen zu halten und dafür zu sorgen, dass es wirtschaftlich schlechter gestellte Partnerländer nicht zerschmeißt, hat keine Ahnung von Wirtschaftspolitik. Wer nicht begreift, dass uns nur Solidarität weiter bringt, damit es uns allen gut geht, ist ein politischer Wirrkopf und hilft damit vor allem nicht den österreichischen Steuerzahler*innen.

Auch die dritte Behauptung, Kurz habe Reformen gesichert, entspringt der Welt der Mythen und Märchen. Das gerade Gegenteil ist der Fall.

Gestrichen wurde nun u.a, beim Forschungsprogramm Horizon Europe:

Dabei soll ein breites Spektrum an Maßnahmen von Grundlagenforschung, angewandter Forschung, Förderung von Innovation aber auch Einbindung der Nachfrageseite einschließlich der sektoralen Politiken zum Einsatz kommen. Beispiele sind der Kampf gegen den Krebs, gesunde Gewässer, gesunde Böden oder 2-neutrale Städte. Derzeit sind fünf Missionen geplant.“

Ebenso wurde das EU4HEALTH-Programm gekürzt, das Europas Versorgungssicherheit bei Medikamenten verbessern soll. Auch am Just Transition Fund, der den Ausstieg aus fossilen Energieträgern unterstützt, wurde geknapst.

Dies zeigt, dass die populistische Rabattpolitik Kurz‘ zu Lasten von Klimapolitik, Gesundheit und Fortschritt, teuer erkauft wurde. Der grüne Koalitionspartner, die vormalige Umweltpartei, sagt auch hierzu keinen Mucks.

Er kämpft gegen ein Zerrbild der EU: Sebastian Kurz nutzt die Union für innenpolitische Zwecke, nicht nur beim Corona-Gipfel. Das ist gefährlich, auch für Österreich,

schreibt Die Zeit und ist damit zweifelsfrei auf dem richtigen Dampfer.

(VinPei)

https://basis.piratenpartei.at/wp-content/uploads/2020/07/800px-Flag_of_Europe.svg_.pnghttps://basis.piratenpartei.at/wp-content/uploads/2020/07/800px-Flag_of_Europe.svg_-150x150.pngHarald "VinPei" BauerBeiträge von PiratenCorona,EU Gipfel,Kurz,Österreich,Piratenpartei,WirtschaftKanzler Kurz brüstet sich nach seiner Fotosession in Brüssel damit, auf dem EU-Gipfel ein gutes Ergebnis erzielt zu haben. Eine Schuldenunion habe er verhindert, die Steuerzahler entlastet und Reformen gesichert. Schaut man sich die Fakten genau an, bleibt von diesen Marketingversprechen freilich nichts übrig. Um eine Schuldenunion ist...Wir leben Basisdemokratie!
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