Am 3. April 2022 wird in Ungarn das Parlament neu gewählt. Nach weiteren vier Jahren mit Zweidrittelmehrheit im Parlament (und insgesamt zwölf Jahren Alleinherrschaft) sagen die Umfragen wieder einen Wahlsieg der Regierungspartei Fidesz (in ständigem Wahlbündnis mit einer kleinen „christdemokratischen“ Partei) voraus.

Das braucht niemanden zu wundern. In den letzten zwölf Jahren wurde alles für eine möglichst lang einbetonierte Fidesz-Macht eingerichtet. Das Wahlrecht wurde so geändert, dass konservative Bezirke mit weniger Stimmen einen Abgeordneten wählen können als liberale; Rundfunk, die beliebtesten Zeitungen und Nachrichtenseiten im Internet stehen unter der Kontrolle von Fidesz-nahen Oligarchen, viele wurden in eine zentrale „Medienstiftung“ eingebracht. Aus Steuergeldern bezahlte Hilfsarbeiter plakatieren die Fidesz-Werbung. (deepl.com übersetzt Ungarisch recht gut.) Die Justiz ist fest in Fidesz-Hand, bis auf die größten und offensichtlichsten Betrugsfälle dürfen wir nicht darauf zählen, dass sie verfolgt werden.

Das Wahlrecht von 1990 (und seither mehrfach geändert, aber nur in kleinen Details), das nach der Wende eingeführt wurde, ist komplex, und begünstigt Mehrheiten überproportional. Ein großer Teil der Abgeordneten wird direkt mit der Mehrheit in Wahlbezirken gewählt. Das hat immer die größte Partei bevorzugt – in den letzten 12 Jahren war das die Fidesz. Links von Fidesz sind die Parteien fragmentiert, und rechts davon gibt es die früher antisemitische, aber in letzter Zeit etwas zivilisiertere Jobbik und eine weitere Rechtsaußen-Partei. Das bedeutet, dass die Zusammenarbeit von Fidesz und der Christdemokraten sehr leicht die relative Mehrheit in einem Wahlbezirk bekommen konnte und kann. Bei den letzten Wahlen sind außerhalb von Budapest insgesamt nur drei Wahlbezirke nicht an die Fidesz gegangen. Mit 45-50 % der Stimmen insgesamt konnte die Fidesz so dreimal hintereinander die Zweidrittelmehrheit im Parlament erlangen.

Die Opposition hat sich, um überhaupt eine Chance zu haben, zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Die Allianz (Egységben Magyarországért = In Einheit für Ungarn) inkludiert die linken, liberalen und die größere rechte Partei. Dies ist aus westlicher Sicht ungewöhnlich, aber die Parteien haben sich darauf verständigt, dass es ein übergeordnetes Ziel gibt: Die korrupte und antidemokratische Fidesz-Herrschaft zu beenden. Wenn es um die Möglichkeit der Wiederherstellung der Demokratie, einer funktionierenden Justiz und eines freien Mediensystems geht, treten die durchaus vorhandenen Auffassungsunterschiede in Sachfragen in den Hintergrund. In jedem Wahlbezirk gab es eine Vorwahl, um festzustellen, welche*r Kandidat*in welcher Partei dort die meisten Chancen hat, sich gegen Fidesz durchzusetzen. So tritt im Idealfall nur ein*e Kandidat*in für die Opposition an statt früher zwei bis vier. Allerdings gibt es auch weitere Oppositionsparteien, die in vielen Wahlbezirken das Zünglein an der Waage spielen und somit die Fidesz-Kandidat*innen zum Sieg verhelfen könnten. In der Vorwahl der Spitzenkandidat*innen hat sich überraschend der konservative, parteilose Péter Márki-Zay durchgesetzt.

Die Meinungsumfragen sagen einen Fidesz-Sieg voraus, allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne erneute 2/3-Mehrheit. In den letzten Wochen haben sich die Vorhersagen für Fidesz verbessert, weil die von der Regierung beeinflußten Medien den Oppositionskandidaten regelmäßig unwahre, unpopuläre Positionen wie die Entsendung von Soldaten in die Ukraine zuschreiben. Es ist allerdings in diesem System sehr schwer, das Ergebnis genau zu prognostizieren, weil im recht kleinen Ungarn nicht einzelne Wahlbezirke, sondern nur die Gesamt-Stimmenverteilung sinnvoll abgefragt werden kann.

Drei Tage vor der Wahl, am 31. 3. flog ein Skandal auf: In Rumänien, wo die ungarische Minderheit in Siebenbürgen das Wahlrecht für die ungarischen Parlamentswahlen hat (und überwiegend Fidesz wählt), sind geöffnete, ausgefüllte Briefwahl-Stimmzettel gefunden worden – jene, die für die Opposition gestimmt haben, teilweise verbrannt. Es ist schwer, das anders zu erklären als mit einer Verletzung des Wahlgeheimnisses durch die Fidesz-nahen Organisationen, die Stimmung gemacht haben, dass die Briefe nicht mit der (ihrer Ansicht nach unzuverlässigen) Post, sondern „bequem“ über sie geschickt werden sollen. Die Auslandsstimmen sollen nach dem Zufallsprinzip zu den Stimmen in den Wahlbezirken gemischt werden – auch eine offensichtliche Manipulationsmöglichkeit, wenn man seit 12 Jahren die Verwaltung absolut beherrscht. Umkämpfte Bezirke können so leicht in die gewünschte Richtung gekippt werden, wenn man weiß, dass die Auslandsungarn in bestimmten Ländern sehr Fidesz-freundlich sind, während jene, die freiwillig in den Westen gezogen sind und Zugriff auf freie, demokratische Medien haben, stark zur Opposition tendieren.

Solche Vorfälle haben auch dazu geführt, dass die OSZE 200 Wahlbeobachtende entsendet, eine absolute Rarität in der EU. (Und zwei FPÖ-Vertreter sind auf Wunsch eines Fidesz-nahen Instituts auch dabei, um in Budapest, wo mit einem Sieg der Opposition gerechnet wird, „objektiv“ zu „beobachten“.)

Die fortwährende Fidesz-Herrschaft in Ungarn ist für die EU schon lange ein Problem. EU-Förderungen, die in dubiosen Vergabeverfahren an Fidesz-nahe Oligarchen umgeleitet wurden (Orbáns Jugendfreund ist in 12 Jahren vom Gasinstallateur zum reichsten Mann Ungarns aufgestiegen), haben in „ganz legaler“ Weise dazu geführt, dass Medien entweder durch direkte Übernahme oder Vergabe von Werbung von Staatsunternehmen de facto nur mehr Fidesz-Standpunkte transportieren, und auch bei Werbung auf Plattformen wie Facebook eine enorme finanzielle Übermacht herrscht. Am Land sorgt die Verteilung von Aufträgen, Landwirtschaftsförderungen und anderen Faktoren durch fast ausschließlich Fidesz-treue Bürgermeister dazu, dass jedes Engagement für die Opposition die wirtschaftliche Lebensgrundlage gefährden kann. Somit hat die EU den Aufbau dieses Systems finanziert. Erst die Entziehung der Förderungen bis zur Etablierung eines fairen und transparenten Vergabesystems kann helfen. Erste Ansätze, die erst in den nächsten Jahren wirksam werden, gibt es bereits. Doch es könnte schon zu spät sein: In vielen Bereichen wie Medien, Großunternehmen, Verwaltung und Justiz dürfte die Fidesz-Herrschaft für viele Jahre einbetoniert sein.

Die Piratenpartei Österreichs hofft in dieser Situation, dass demokratische Parteien zumindest eine einfache Mehrheit im Parlament erlangen können und so zumindest eine Chance haben, die schlimmsten Auswüchse des autokratischen Fidesz-Systems langsam zu verringern. Das wird nicht einfach sein. Wenn aber wieder Fidesz stark gewinnt, wird es sehr schwer sein, dagegen zu argumentieren, dass das „der Wille des ungarischen Volkes“ sei – und alles bleibt beim Alten. Das ist für die EU sehr gefährlich, weil sinnvolle, progressive Entscheidungen in den letzten Jahren von Ungarn allein oder mit Polen (das ähnliche Strukturen aufgebaut hat) blockiert wurden. Es geht also diesen Sonntag um viel.

 

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