Stellungnahme zum Begutachtungsverfahren, betreffend die Änderung des Sicherheitspolizeigesetzes, des Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002, der Straßenverkehrsordnung 1960 und des Telekommunikationsgesetzes 2003 (326/ME)
An das
Bundesministerium für Inneres
Per eMail: bmi-III-1@bmi.gv.at
An das
Präsidium des Nationalrats
Per eMail: begutachtungsverfahren@parlament.gv.at
Betreff: Stellungnahme zum Begutachtungsverfahren, betreffend die Änderung des Sicherheitspolizeigesetzes, des Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002, der Straßenverkehrsordnung 1960 und des Telekommunikationsgesetzes 2003 (326/ME)
Sehr geehrte Damen und Herren,
nachdem erst im Jahr 2016 das polizeiliche Staatsschutzgesetz[1] neu gefasst wurde und damit eine Entwicklung in Richtung Totalüberwachung, Generalverdacht, mangelnde Kontrolle des Geheimdiensts, fehlenden Rechtsschutz und die unkontrollierte Weitergabe von Daten an ausländische Dienste eingleitet wurde, ist man nun seitens des Innenministeriums offensichtlich wild entschlossen, die Privatsphäre rechtstreuer BürgerInnen sukzessive auszumerzen.
Dieser Eindruck wird auch dadurch genährt, dass dieser Ministerialentwurf just zur Ferienzeit den Weg in die Begutachtung findet und dann offenbar kurz vor Torschluß noch abgestimmt werden soll. Das Beschreiten solcher saisonaler Schleichwege und das Abzielen auf mangelnde Aufmerksamkeit bei einem so wichtigen Thema, erscheint uns genau so unseriös, wie der Gesetzesentwurf selbst und passt deshalb sehr gut dazu.
Um es, bevor wir uns im Detail mit dem Entwurfstext auseinandersetzen, vorweg zu nehmen – die Piratenpartei Österreichs ist entsetzt über eine derartige Geringschätzung bürgerlicher Freiheiten und die Hinwendung zu einem autoritären Überwachungsstaat, die dieser Gesestzesentwurf unverkennbar atmet.
Nun zur Kritik im Einzelnen:
Zu Artikel 1, § 25 (1):
Die Gewährleistung der Sicherheit ist die Aufgabe der dafür zuständigen Behörden und den dort arbeitenden ausgebildeten Fachpersonen. Was soll die Beiziehung von nicht ausgebildeten „Menschen, die an der Erfüllung von Aufgaben im öffentlichen Interesse mitwirken“ und die „Maßnahmen“ erfüllen sollen, die in „Sicherheitsforen“ „erarbeitet und koordiniert werden“, überhaupt bewirken? Sollen diese Hilfspersonen die Funktion einer Art „Informeller Mitarbeiter“ erfüllen, die eine geheimdienstliche Zuträgerfunktion erfüllen?
Es kommt aber noch besser:
„Dabei ist ein Informationsaustausch im Sicherheitsforum insoweit zulässig, als es sich um
Informationen handelt, 1. die den Teilnehmern dem Grunde nach bekannt sind, oder 2.
deren Weitergabe im wesentlichen Interesse Betroffener ist und nicht besondere Gründe vorliegen, die dennoch für eine Geheimhaltung sprechen.“
Beabsichtig das Innenministerium tatsächlich, Erkenntnisse die es auf dem Dienstweg über bestimmte Personen erlangt hat, an Dritte unbeteiligte Hilfspersonen weiterzugeben und das auch noch, zumal in Bezug auf die Anforderungen an die Zuverlässigkeit dieser Hilfspersonen im Gesetzestext überhaupt keine Regelung getroffen wird?
Wir halten die vorgeschlagenen Bestrebungen für unausgegoren, brandgefährlich und eines freiheitlichen Rechtsstaats für unwürdig.
Zu Artikel 1, § 53 (5)
Hier kommt im Gesetzentwurf wieder der Generalverdacht gegen alle und jeden zum Tragen. Öffentliche Einrichtungen; der öffentliche Raum werden zum Spielplatz der Totalüberwachung durch Kameras und Tonaufzeichnungsgeräte – und jede Privatheit wird durch das immer präsente Auge des Staates zu nichte gemacht, obwohl wir wissen, dass die wirklich gefährlichen Verbrecher, die in den letzten Jahren in Europa Anschläge verübten, den Behörden bereits vorher bestens bekannt waren [2]. Tatsache ist, dass ein Zuviel an irrelevanten Informationen, letztlich den Blick auf das Wesentliche trübt. Es gibt auch keinen Beleg, dass Videoüberwachung tatsächlich zur Vorbeugung von Verbrechen beiträgt.
Zu bemängeln ist hier weiters, dass all diese Maßnahmen keines tatsächlichen Verdachts bedürfen, sondern lediglich der „Vorbeugung wahrscheinlicher“ Angriffe bedürfen, was eine äußerst dehnbare Beschreibung ist und somit jede/n rechtstreuen BürgerIn betreffen kann, zumal es auch hier „dank“ des neuen Staatsschutzgesetz keinen Richtervorbehalt mehr gibt.
Letzteres gilt im Übrigen für den Großteil der Maßnahmen, die im Zuge dieser Gesetzesneufassung vorgesehen sind, was unserer Meinung einem direkten Angriff auf die Judikative durch willkürliche Ausschaltung im Anlassfalle gleich kommt.
Zu Artikel 1, § 53a (6)
Nachdem das Sicherheitspolizeigesetz erst 2016 geändert wurde, drängt sich die Frage auf, welche Erkenntnisse inzwischen eingetreten sind, die eine Erhöhung der Speicherdauer gemäß Abs. 2 Z 1 von drei auf fünf Jahre geboten erscheinen lassen, „soweit es mit mindestens dreijähriger Freiheitsstrafe bedrohte vorsätzliche gerichtlich strafbare Handlungen betrifft“?
Zu Artikel 1, § 54 (4b)
Bei der hier geplanten Ausweitung der Überwachung von Verkehrsteilnehmern, sollen anlasslos und massenhaft Daten von rechtstreuen BürgerInnen auf Vorrat 48 Stunden gespeichert werden – und zwar sollen hier nicht nur, wie bisher, die Kennzeichen erfasst werden, sondern auch Marke, Typ und Farbe des Fahrzeugs. Es sollen aber auch die Fahrzeuglenker erfasst und identifiziert werden. Ebenso sollen Kennzeichen mit Fahndungslisten abgeglichen werden.
Auch hier werden in einem nicht zumutbaren Umfang rechtstreue BürgerInnen dem Generalverdacht ausgesetzt. Wozu dieser Datenwust letztlich dienlich sein soll, ist nicht nachvollziehbar und vollkommen unverhältnismäßig.
Zu Artikel 1, § 56 (9) & (10)
Wie bereits oben ausgeführt, sehen wir die Weitergabe von personenbezogenen Daten an Hilfspersonen als rechtsstaatlich unvereinbar an.
Zu Artikel 1, § 57 (2a)
Wie bereits oben ausgeführt, ist ein Generalverdacht gegen rechtstreue Bürgerinnen schädlich, richtet sich direkt gegen das Grundrecht auf Datenschutz und steht im Widerspruch zum freiheitlichen Rechtsstaat, zumal, wenn hieraus auch kein, der Verhältnismäßigkeit mit den Überwachungsmaßnahmen angemessener und nachgewiesener Nutzen erwächst. Insofern sehen wir auch den Zugriff auf Mautdaten der ASFINAG oder ÖBB-Daten und das Einspannen dieser Institutionen in die Polizeiarbeit als falsch an.
Zu Artikel 1, § 84 (7) & (8) sowie § 91c (3)
Da wir, wie oben bereits angeführt, die im Ministerialentwurf vorgesehenen Neuregelungen der §§ 53 (5) & 56 (9) & (10) als verfehlt betrachten, ergibt die Folgeänderung unter § 84 (7) & (8) für uns selbstverständlich auch keinen Sinn.
Zu Artikel 1, § 92a (1) & (1a)
Hier halten wir die derzeitige Gesetzeslage für ausreichend und sehen keinen weiteren Regelungsbedarf. Wer mutwillig einen Alarm auslöst, kann bereits heute finanziell belangt werden:
„Wird durch eine technische Alarmeinrichtung zur Sicherung von Eigentum oder Vermögen das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes verursacht, ohne daß eine Gefahr bestanden hat, so gebührt als Ersatz der Aufwendungen des Bundes ein Pauschalbetrag, der nach Maßgabe der durchschnittlichen Aufwendungen mit Verordnung des Bundesministers für Inneres festgesetzt wird“.
Was den Passus anbelangt, der sich damit befasst, wie mit Menschen umgegangen werden soll, die sich „grob fahrlässig“ einer Gefahr aussetzen, halten wir diesen in zweierlei Hinsicht für schädlich. Zum einen ist der Begriff „grob fahrlässig“ ziemlich dehnbar – ist da schon der Fall gemeint, wenn jemand aus einem Impuls heraus und ohne auf den Verkehr zu achten, auf die Straße läuft und überfahren wird oder ist da wirklich nur der gemeint, der ohne entsprechende Ausrüstung im Gebirge herumläuft und von einem Hubschrauber gerettet werden muss? Oder soll damit gegen Personen vorgegangen werden, die sich „grob fahrlässig“ im Zuge der Ausübung ihres Demonstrationsrechtes einer Konfrontation mit Sicherheitskräften aussetzen?
Zum anderen sollte man auch die Überlegung anstellen, ob jemand der sich leichtsinnig in eine Gefahr gebracht hat und die für ihn hohen Kosten eines Notfalleinsatzes im Auge hat, dann vielleicht weiter versucht, sich aus eigener Kraft daraus zu befreien und dies auch misslingen könnte. Im Zweifel ist ein Menschenleben der höhere Wert – und letztlich dürfte sich die Ersparnis, die eine solche Gestzesänderung ermöglichen würde, in engen Grenzen halten. Es wäre sicherlich ein Bruchteil von dem, was die Umsetzung dieser entbehrlichen „Überwachungsgesetzgebung“ kostet.
Die meisten Menschen bringen sich nicht freiwillig in Lebensgefahr – das Ministerium sollte hier getrost mehr Vertrauen in den gesunden Menschenverstand entwickeln.
Zu Artikel 1, § 93a
Diese Gesetzesänderung verletzt das Grundrecht auf Datenschutz in erheblichem Maße und würde im Hinblick auf die zweiwöchige Aufbewahrungsverpflichtung und die umfassende „Streubreite“ nach unserem Rechtsverständnis einen unverhältnismäßige Aushebelung des Datenschutzes darstellen. Dies ist insofern besonders frappierend, zumal der EuGH per 21. Dez 2016 schon festhielt, dass anlasslose Speicherungen von Personendaten illegal sind und keinesfalls zur Strafverfolgung verwendet werden dürfen. Man handelt hier also bewusst gegen geltendes Recht.
Zu Artikel 2, § 19 a (1) & (1a)
Siehe hierzu unsere Anmerkungen zu Artikel 1, § 57 (2a).
Zu Artikel 3, § 98a (1) & (2)
Wozu will das Innenministerium sämtliche Daten, die im Zuge der Verkehrsraumüberwachung bei Geschwindigkeitskontrollen gewonnen werden, bei sich sammeln? Ist dem Ministerium ein Zusammenhang zwischen Terrorismus und Geschwindigkeitsüberschreitungen bekannt? Uns wäre ein solcher Zusammenhang völlig neu.
Vielmehr erscheint es uns so, dass man alles, was man an Daten bekommen kann, auch bekommen will und zwar in einem völlig unverhältnismäßigem, maßlosen und jeder Logik entbehrenden Umfang. Es sei denn, die Absicht dahinter besteht darin auf Knopfdruck Material zur Verfügung zu haben, das willkürlich jederzeit gegen missliebige Personen verwendet werden kann um sie nach Belieben maßregeln zu können.
Zu Artikel 4, § 17 (1a)
Hier wird es dem Provider völlig ins Ermessen gestellt, Inhalte zu sperren, ohne dass er diese Maßnahmen auch nur zu begründen hätte. Nutzern wird dadurch jegliche Handhabe genommen, gegen willkürliche Netzsperren vorzugehen.
Zu Artikel 4 § 92 (3) & 97 (1a)
Die Registrierungspflicht von Prepaid-SIM-Karten ist schon deshalb sinnlos, weil wirkliche Kriminelle diese Registrierungspflicht ganz einfach durch den Kauf einer SIM-Karte im Ausland umgehen können. Zudem gibt es keinerlei Beleg dafür, dass die Registrierung von Prepaid-SIM-Karten irgend einen nachweisbaren Erfolg in der Kriminalitätsbekämpfung mit sich brächte [3].
Für die Nutzung anonymer Prepaid-Sim-Karten spricht jedoch einiges, u.a. auch solche maßlosen Gesetzesentwürfe, wie dieser hier zur Begutachtung vorliegende, durch die das Grundvertrauen in die Wahrung individueller Freiheitsrechte und den Schutz der Privatsphäre durch den Staat, beschädigt und das Recht auf anonyme Kommunikation mit Füßen getreten wird. Das Recht auf freie Kommunikation muss auch das Verbot von anlassloser Erfassung von Metadaten beinhalten. Es ist bereits eine Verletzung des Brief- und moderner Kommunikationsgeheimnisses, wenn aufgezeichnet wird: wer, wann, von wo mit wem kommuniziert hat. Das Nichterfassen von Inhalten ist eindeutig zu wenig.
Zu Artikel 4, § 99 (1a-f)
Hier versucht sich das Innenministerium wieder einmal an der Einführung einer Vorratsdatenspeicherung [4] – zwar diesmal unter der folgenden Maßgabe:
„(1b) Eine Auskunft über nach Abs. 1a von der Löschungsverpflichtung
ausgenommene Daten ist ausschließlich aufgrund einer gerichtlich bewilligten
Anordnung der Staatsanwaltschaft zur Aufklärung und Verfolgung von Straftaten,
deren Schwere eine Anordnung nach § 135 Abs. 2 Z 2 bis 4 StPO rechtfertigt,
zulässig. Die Übermittlung der Daten hat in angemessen geschützter Form nach
Maßgabe des § 94 Abs. 4 zu erfolgen.“
Ob der Gesetzesentwurf trotz dieser Einschränkung jedoch vor dem Hintergrund der jüngsten EuGH Rechtsprechung [5] bestand hätte und sich tatsächlich „auf das Notwendigste“ beschränkt, wie vom EuGH gefordert, darf erheblich bezweifelt werden, zumal der EuGH eine Verwendung der Daten zur Strafverfolgung ohnehin dezidiert ausgeschlossen hat. Man bewegt sich hier also grundsätzlich schon im illegalen Bereich.
Zu bemängeln ist zudem, dass der Gesetzesentwurf nur ein Auskunftsbegehren für Personen vorsieht, denen nach Abschluss des Verfahrens keine Straftat zur Last gelegt werden konnte, nicht jedoch, eine Informationspflicht behördlicherseits.
Grundsätzliche Anmerkung
Durch einen Generalverdacht, die Aufweichung von Bürgerrechten, der Privatsphäre und eine schleichende Entwicklung hin zum Überwachungsstaat, riskieren wir unsere Freiheit und werden dafür auch kein Mehr an Sicherheit erreichen. Erfahrungen in anderen europäischen Ländern zeigen zudem, dass Massenüberwachungsmaßnahmen keine Präventivwirkung haben und auch kaum zur Aufklärung beitragen. Die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen zur tatsächlichen Bedrohungslage, die schwammigen Formulierungen und die Wiedereinführung der verbotenen Vorratsdatenspeicherung lassen vermuten, dass die Maßnahmen bewusst in Graubereiche und sogar bis in die Illegalität reichen sollen. Das ist eines Rechtsstaats nicht würdig und muss verhindert werden. Dass bisherige Graubereiche und illegale Vorgehensweisen durch solch ein Gesetz legalisiert werden sollen ist bei den schwammigen und willkürlich interpretierbaren Definitionen auf das Schärfste abzulehnen.
Zweckmäßiger, als mit unverhältnismäßigen Mitteln immer mehr Rechte zu beschneiden, wäre es, dass die Politik darauf abzielt, den Menschen wieder verstärkt Perspektiven zu eröffnen. Eine gute Ausbildung, faire Chancen und soziale Sicherheit, sind eine wirksameres Mittel gegen die Kriminalität, als eine maßlose Ausweitung der Überwachung. Die Einführung von technischen Mindeststandards, das bessere Vernetzen von Dienststellen und nicht zuletzt der Einsatz von schon erlaubten Ermittlungstechniken ist mehr als ausreichend, um die Bedrohungslage in Österreich stabil zu halten, wenn nicht sogar weiter zu senken. Es bedarf keiner neuen Regelungen, deren Sinnhaftigkeit ohnehin sehr zu bezweifeln sind, sondern lediglich eines koordinierteren und effektiveren Einsatzes bestehender Mittel.
Für den Bundesvorstand der Piratenpartei Österreichs
Dr. Gerald Kainz & Harald Bauer
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Quellen:
[1] https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/I/I_00763/index.shtml
[2] http://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/4867875/Die-SKartei_Attentaeter-waren-der-Polizei-bekannt
[3] https://netzpolitik.org/2013/vorratsdatenspeicherung-eu-kommission-legt-beweise-fuer-notwendigkeit-vor-beweist-aber-die-notwendigkeit-nicht/
[4] https://www.vfgh.gv.at/downloads/presseinformation_verkuendung_vorratsdaten.pdf
[5] https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2016-12/cp160145de.pdf
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